Sonntag, 13. September 2009

Zum Schießen


"Kommst du heute abend zum Duell-Gucken?", wurde ich am Telefon eingeladen, "es gibt Schnittchen und Bier." Alle Welt scheint dem TV-Politgeharke entgegenzufiebern, Stullen werden geschmiert, Salate kreiert, Bier kaltgestellt. Morgen wird alle Welt darüber diskutieren wollen, und wer da nicht mithalten kann, ist selbst schuld, weil er am Abend davor die Simpsons geguckt hat statt dem staatstragenden Showdown beizuwohnen. "Danke", lehnte ich höflich ab, "aber bei mir gibt's heute abend eine Simpsons-Session mit Pflaumenmus und Mirabellenkompott, jemand bringt Vanilleeis mit." Ich erntete Unverständnis - womöglich wegen des fehlenden Bieres? -, aber das macht nichts.
Und selbst wenn die gesamte Nation sich heute um 20:15 Uhr ums Lagerfeuer setzt, um Wahlkrampf live zu erleben: Spätestens um halb neun werden die ersten abwandern zu dem, glaube ich, einzigen großen Sender, der programmatisch aus der Reihe tanzt. Weil sie bei Steinmeiermerkel eingeschlafene Füße bekommen haben. So gegen neun werden die Schnittchen zu Ende sein, nicht jedoch die endlose Schwadronade der beiden Duellanten; ab dann wird sich die verzweifelte Wanderbewegung auf die Einschaltquote der Simpsons nachhaltig auswirken. Möchte ich drauf wetten.
Umgekehrt glaube ich kaum, dass eine nennenswerte Wanderung weg von den Simpsons stattfinden wird, warum sollten die Leute auch. In meinem Fall wäre ein Umschalten aufs Duell schon deshalb unverantwortlich, weil die Gefahr viel zu groß wäre, dass eine ärgergesteuerte Ladung Pflaumenmus auf den Bildschirm träfe. Trüfe? Egal. Jedenfalls ist mir mein selbstgemachtes Pflaumenmus dafür zu schade. Mein oller Fernseher ebenfalls.

Wenn, dann müssten die Berliner Darsteller - am besten live und ungeschützt - mit etwas Effektivem beschossen werden, worauf der Schütze selbst leichten Herzens verzichten kann. Was könnte man da nehmen? Mir fiel nichts ein, zumindest nichts Jugendfreies. Ich las dann ein wenig Zeitung im Netz, um auf andere Gedanken zu kommen. Mit dem Ergebnis, dass ich immerfort nur noch an das eine dachte. Weil nämlich der Sänger Funny van Dannen sich ebenfalls einschlägige Gedanken gemacht hat zur Praxistauglichkeit von Munitionen, abgefeuert auf
das ganze unsympathische Personal, das sich in der Wirtschaft und Politik tummelt.
Diese Unsympathen, lässt van Dannen uns in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau wissen, sollten am wirkungsvollsten mithilfe einer Katzenpissepistole niedergestreckt werden. Ganz richtig, Katzen-pisse-pistole. Sagt Funny van Dannen. Sagt er nicht nur, singt sogar ein Lied drüber. Mit so ganz sanfter Stimme und musikalisch entspannt, fast schläfrig dahinplätschernd - aber der Text, oh la la, ich meine, auf Katzenpisse als Kampfstoff muss man erst mal kommen. Grandios, die Idee.
Überhaupt hat der Mann interessante Ansichten. Vor Jahren gab es einen Song von ihm mit dem aussagestarken Titel Ich will den Kapitalismus lieben, aber ich schaffe es einfach nicht. Auch so ganz verträumt dahingeträllert, aber ein Bolzen von Text. Gegen Ende des Interviews antwortet er auf die Frage, ob er als Liedermacher die Krise spüre:
Vielleicht gibt es bald Liedermacher-Konzerne mit angestellten Textern und Komponisten, die dann für Hunderte von Liedermachern Texte und Melodien schreiben.
Ich kann mir förmlich seine sanfte, unaufgeregte Stimme vorstellen, mit der er dieses Inferno ausmalte.

Ach ja: Auf van Dannens neuer CD fand sich ein Song mit dem Titel Simpsonsplakat. Potzdonnerdreifachtausend. Zufälle gibt's. Gesungen wieder mit dieser melancholisch-beiläufigen, fast schüchternen Stimme. Er singt davon, wie er seine Freundin mit einem Simpsonsplakat als Geschenk überraschen will und sie beim Fremdgehen erwischt. Oh je. Wenn ich könnte, wie ich wöllte, täte ich den Funny van Dannen am liebsten anrufen und ihn fragen: "Kommst du heute abend zum Simpsons-Gucken? Es gibt Vanilleeis mit Pflaumenmus."

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