Dienstag, 20. Oktober 2009

Akademisches Prekariat


Heute ging es rund bei den Gebäudereinigern Gesamtdeutschlands. Nach erfolgreicher Urabstimmung wurde bundesweit gestreikt. Und zwar gezielt an solchen Stellen, wo es weh tut - Rathäuser, Schulen, Großbüros, Flughäfen. Am besten gefallen hat mir diese Meldung in den Radionachrichten:
Flugzeuge mussten verschmutzt abheben.
Ja, das müssen sie dann wohl oder übel, wenn keiner sie putzt, die armen Flugzeuge. Interessant war, dass der Nachrichtensprecher jenen Satz mit so viel Pathos auflud, dass man beim Zuhören mindestens drei Ausrufezeichen mithörte. Flugzeuge mussten verschmutzt abheben!!! Es klang in etwa so dramatisch, wie wenn er uns informiert hätte: Tausende Menschen mussten evakuiert werden!!! Wenn nicht noch dramatischer.
Verschmutzte Flugzeuge, welch ein Drama. Sollen sie halt weniger Schmutz machen, die Fluggäste; warum fordert man sie nicht via Bordfunk höflich auf, sich auf den Toiletten bitteschön ein wenig zusammenzureißen, im Interesse aller? Meine Damen und Herren, hier spricht der Kapitän, bitte unterlassen Sie es, unser Flugzeug so zu verschmutzen wie Sie das normalerweise gerne tun, es ist nämlich keiner bereit, Ihren Dreck wegzuräumen, ich danke Ihnen und wünsche einen guten Flug. Geht doch.

Gut fand ich auch, was der Tagesspiegel brachte, nämlich eine spannungsgeladene Fast-Livereportage von einem Streikbrennpunkt in Berlin:
Um kurz vor sechs ist es am Ernst-Reuter-Platz in Charlottenburg noch dunkel und bitter-kalt.
Ich bibbere solidarisch mit, auch außerhalb Charlottenburgs friert man sich im frühen Morgendunkel den Hintern ab.
Nur vereinzelt huschen Fußgänger vorbei, um aus der Kälte in die U-Bahnstation zu flüchten.
Gut beobachtet. Die Huscher blasen immer gigantische Atemwolken vor sich her, bevor sie hastig im Untergrund verschwinden. Doch dann zerreißt ein Schuss die dunkle Stille:
Doch hundert Meter weiter kann man ihn plötzlich hören: Den Startschuss für den bundesweiten Streik der Gebäudereiniger. Ein ohrenbetäubendes Trillerpfeifen-Konzert weist den Weg zur Technischen Universität, die heute dreckig bleiben wird.
Die Technische Universität wird heute dreckig bleiben! Das ist nicht schön, aber schön gesagt. Universitäten bleiben dreckig, Flugzeuge müssen verschmutzt abheben. Damit nicht genug:
Über einen Teil des Logos am Haupteingang haben die Streikenden ein Banner gespannt. "Prekäre Universität Berlin" ist jetzt zu lesen.
Ha! Prekäre Universität Berlin! Heiliger Strohsack, ist das gut. Mir geht ja ansonsten das gewerkschaftstypisch Humorige eher ab, aber Prekäre Universität Berlin - das ist richtig gut. Wann gibt es endlich ein schönes Foto von der Berliner Prekäruni im Internet? Leider habe ich trotz heftigen Netzabklapperns nichts gefunden.
Was umso bedauerlicher ist, als ein offenbar völlig humorbefreiter Berliner Tagesspiegelleser namens 'zacha' in seinem Kommentar an der verunstalteten Hochschulfassade herumnörgelt:
Übrigens finde ich es eine Sauerei wenn zum Beispiel an der TU "zufällig" zum Streiktag Klopapierrollen an den Fassaden hängen,
worüber man sich aber keine Sorgen machen muss, denn derselbe Kommentator findet es auch eine Sauerei, dass ein anderer Kommentator 8,15 Euro pro Stunde für einen Hungerlohn hält. So hoch ist der (seit Ende September nicht mehr) gesetzlich abgesicherte Mindestlohn für Gebäudereiniger.

A: Und wo studieren Sie so?
B: An der Prekären Universität Berlin.
A: Ach ja, welche war das gleich noch mal?
B: Das ist die, wo vorne dran lauter bunte Klopapierrollen hängen.
A: Ah. Was studieren Sie denn so?
B: Moderne Gebäudereinigungstechniken, mit Bachelorabschluss.
A: Was Sie nicht sagen.
B: Ja, ein sehr prekä-, ähm, praxisorientierter Studiengang, bei uns reiht sich ein hausinternes Praktikum ans nächste.
A: Glauben Sie, damit finden Sie mal einen Job?
B: Auf jeden Fall, die Prekäre Universität würde uns doch am liebsten jetzt schon ganztags einstellen.
A: Für was?
B: Fürs Putzen. Wo die doch jetzt eh alle streiken.
A: Ach so.
B: Na klar, zur Zeit putzen alle Studierenden täglich die Uni, komplett. Studienbegleitend sozusagen.
A: Ist ja irre.
B: Ja, nicht wahr? In zwei Wochen fange ich mein nächstes Praktikum an. Die Unitoiletten haben es mal wieder nötig. Kloputzpraktikum für Erstsemester.
A: Heftig.
B: Die Konkurrenz schläft nicht. Wissen Sie, bei den Kollegen vom naturwissenschaftlichen Fachbereich sind Theorie und Praxis ebenfalls eng verzahnt. Was meinen Sie, an was die grade mit Hochdruck forschen? Die wollen selbstreinigende Klosysteme entwickeln!
A: Ach du meine Güte. Dass Sie später mal bloß nicht arbeitslos werden.

5 Kommentare:

  1. da ich überhaupt nicht mehr über das tagesgeschehen informiert bin bzw. mich zur zeit einfach GAR NICHT informiere, bin ich über solche artikel immer froh :). ... und wenn ich jetzt sage, daß ich unter anderem an einem kloprojekt arbeite - glaubst du mir das? :)

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  2. Sach bloß - etwa selbstreinigende Klos, von Mathematikern ausgetüftelt?

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  3. nee, eher ... öhm [ich darf da nicht wirklich details preisgeben]: das ergebnis des projektes wird den kauf einer passenden brille vereinfachen ;).

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  4. hu, spannend...hat jetzt aber nix mit Dioptrien u.ä. zu tun, oder doch? Weil, auch auf dem Lokus will man ja klare Sicht haben...'Schatz, ich muss mal - hast du meine Klobrille gesehen? Irgendwo muss ich sie verlegt haben...'
    :)

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  5. hätte ich mal 'sitzring' gesagt... ;)

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