Mittwoch, 3. November 2010

Wir Müllmänner


Heute ging die Post ab. Vielmehr die Müllabfuhr. Und dann die Feuerwehr. Es war schwer was los.

Frühmorgens auf dem Fahrrad hatte ich wieder eine jener halluzinatorischen Frühlingsattacken: so früh, so hell, so warm. War mir warm! Viel zu warm. Föhnig warm. An der großen Kreuzung bei Rot riss ich mir die Mütze vom Kopf, den Schal vom Hals, die Handschuhe von den Fingern, den Anorakreißverschluss auf und machte laut "Puuh!" vor Erleichterung - da ertönte von der Mitte der Straße ein noch lauteres, männlich-zweistimmiges "Puuh!", gefolgt von einem dröhnenden Hupsignal. Die städtische Müllabfuhr, ebenfalls auf Grün wartend, hatte beobachtet, wie ich mich meiner Winterklamotten entledigte und wollte mehr sehen.

"Don't stop it, Baby!" rief es aus dem Fahrerhaus heraus. Die zwei Kerle, einer von ihnen ein alter Bekannter, kriegten sich nicht mehr ein vor Vergnügen. Sie verpassten darüber sogar die Grünphase. "Showtime!", brüllte Bongo aus dem offenen Fenster, haute animiert gegen die Fahrertür und hupte erneut. Ich glaube, ich habe noch nie in meinem Leben so früh am Morgen so viel gelacht. Das mag jetzt vielleicht einem Außenstehenden schwerverständlich erscheinen, für mich war es ein bombiger Start in den Tag.

Um kurz vor acht kam das Feuer und mit ihm die Feuerwehr. Es war zwar kein Feuer, sondern ein Schwelbrand, aber die Feuerwehr rückte trotzdem an. Mit vier Löschzügen, Wiederbeatmungsgeräten, Windmaschinen, Notarzt, Polizei, allem Drum und allem Dran. Aus dem ersten Stock drangen dichte, beißende Rauchwolken. Aus allen vier Stockwerken drangen aufgeschreckte Bewohner, husteten das Treppenhaus hinab und suchten Zuflucht in der Kneipe (Brandschutztür!).

Die Feuerwehr löschte, die Polizei ermittelte. Die unfreiwillig versammelte, großteils beschlafanzugte Hausgemeinschaft trank Unmengen von Kaffee, und - wie bei solchen Gelegenheiten üblich - jeder hatte eine Story auf Lager, wie es bei ihm oder Onkel Rudi oder Tante Helga oder dem Schwager seiner Schwiegermutter auch schon mal beinahe gebrannt habe. Es stellte sich heraus, dass eine schlaflose gläubige Katholikin aus dem ersten Stock heute früh eine verspätete Allerseelenkerze entzündet hatte und darüber eingeschlafen war. Der Rest war Kokel. Menschen kamen keine zu Schaden, Sachen schon.

Einträchtig hockten Katholen, Freidenker und hartgesottene Atheisten um den Tisch und debattierten heftig über Sinn und Unsinn von Allerheiligen, Allerseelen, der Heiligen Maria sowie der brandschutztechnischen Vorteile von Grablichtern versus Haushaltskerzen. Ich kochte Kaffee und versorgte neu eintreffende Schlafanzüge mit feuchten Handtüchern, zur Beruhigung der gereizten Atemwege. Ein herbeigeeilter Geschäftsführer - so schöngeistig wie nervenstark veranlagt - rezitierte dramatische Zeilen aus dem Feuerreiter von Eduard Mörike. Es war großes Kino am frühen Morgen.

Ein Hausbewohner aus dem obersten Stockwerk - Weh! dir grinst vom Dachgestühle dort der Feind im Höllenschein (dritte Strophe Mörike) - schien meine Gedanken zu erraten: Ich überlegte, ob das Ereignis lohne darüber zu bloggen. (Der Dachgestühlbewohner liest das Blog und ist leider Gottes zu faul zum Kommentieren.) Daraufhin kreischte der hellhörige Geschäftsführer "Untersteh' dich, du olle Internetgans!" (O-Ton), woraufhin ich befand, dass es lohne. Schließlich passieren nicht alle Tage so aufregende Geschichten.

Und wo bleibt jetzt die große thematische Klammer von Müllabfuhr und Feuerwehr? Hier:


Feuerwehr- und Müllmänner gehören zu den Top Ten jener Berufsgruppen, die in der Bevölkerung allerhöchstes Ansehen genießen. Wie ich seit heute finde, sehr zu Recht. Bedauerlicherweise wurde das Ansehen von Putzfrauen nicht abgefragt, aber egal, ich rechne mich einfach mal zu den Müllmännern und freue mich über das vorzügliche Ranking: Wir sind signifikant beliebter als Studienräte, Steuerinspektoren und Sparkassenmitarbeiter!

Weit abgeschlagen auf den untersten Plätzen finden sich die Berufsgruppen Politiker, Telekom-Mitarbeiter und Werber; letztere sogar mit über die Jahre hinweg sich konstant verschlechternden Popularitätswerten, während die guten Noten für die Müllmänner ein mittelfristig stabiles Wachstum hinlegen. Was wiederum nicht verwundert, sind es doch die fabelhaften Jungs von der Müllabfuhr, die den ganzen Werbemüll dorthin verfrachten, wo er hingehört.



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