Montag, 31. Oktober 2011

Was auf die Ohren


(klick auf Bild macht groß)

Sonntag, 30. Oktober 2011

Schnauze voll



So sagt der Frankfurter, wenn er die Schnauze gestrichen voll und das Gefühl hat, jetzt muss er endlich etwas tun gegen das, was ihn schon seit langem stört.

"Ebe grad langt's" - steht am Eingang zum Camp #occupyfrankfurt, neben unzähligen weiteren Slogans, auf Kartonpappen gepinselt, auf Wäscheleinen geklammert, an Zeltwände geklebt, auf T-Shirts gedruckt, um den Hals getragen, auf Bänke gestrickt, über Bankern hängend, an Müllcontainer gepappt, von Hunden geschleppt und und und:


"Ebe grad langt's" ist mit Abstand der beste aller Slogans. Weil er den Status quo des Camps ebenso treffend ausdrückt wie das Engagement der vielen Frankfurter Bürger, die mit Geld-, Lebensmittel- und Sachspenden ins Camp strömen, das Gespräch suchen, mit Nachdruck ihre Solidarität äußern, tatkräftig Hand anlegend Unterstützung anbieten und mit Vehemenz kundtun, dass sie die Schnauze gestrichen voll haben.

Von knallharter Systemkritik ("Mer mache des Scheißspiel net mehr mit!"), kristallklaren Positionierungen ("Wenn mer jetzt nix unnernemme, werd's bald zabbeduster!"), messerscharf reinen Tisch machenden Forderungen ("Des Finanzkabbidal geheert uff de Mond geschosse!") bis hin zu unmissverständlichen revolutionären Bekenntnissen ("Ei, mer gehe jetzt uff die Barrikade!") ist auf dem Platz alles zu hören, was so e rischdisch indigniertes Frankforder Schlappmaul alles in peddo hat.

Heute gab einer am Küchenzelt einen Kanister voll wärmespendenden Glühwein ab mit den kraftspendenden Worten: "Isch mescht, dass ihr denne ordentlisch einheize duht!", wobei er offen ließ, wen er mit "denne" meinte, aber wir haben ihn, glaube ich, verstanden. Beim Weggehen rief er: "Lasst eusch bloß net unnerkrieje, is des klar?", wir brüllten: "Klar!", er stapfte davon, drehte sich nochmal um und rief: "Morje bring isch e neue Kanistä!" und wir waren uns einig, dass Frankfurt nicht nur die Metropole des Finanzkabbidals, sondern auch die der Revolution sein wird. Ebe grad langt's.

Samstag, 29. Oktober 2011

Zelten ist gut fürs Denken



Wieder mal völlig versackt heute abend.

Es war wunderbar.


Donnerstag, 27. Oktober 2011

Wir bleiben


Es ist mir ein Bedürfnis, mal was Grundsätzliches zum Camp #occupyfrankfurt, zum Leben im Camp, zur Interaktion, zur Dynamik und zu der ganzen unerfreulichen Kiste mit den Infiltrationsversuchen (von mehr als nur einer bestimmten Seite) zu sagen.

Der einzigartige Charakter dieses Camps - offen für jeden, der mitmachen möchte - bringt es mit sich, dass sich hier die unterschiedlichsten Menschen mit den unterschiedlichsten biografischen, politischen und weltanschaulichen Hintergründen treffen. Oft erlebe ich, wie bei der Außenbetrachtung des Camps eine Homogenität in das Camp hineinprojiziert wird, die hier nicht existiert. Das, was hier passiert, ist auf fast allen Ebenen das glatte Gegenteil von Homogenität. Es ist ein wildes Durcheinander von Menschen, die vor knapp zwei Wochen beschlossen haben, ihre Zelte aufzuschlagen, jeder einzelne aus seinen ureigenen Motiven, deren gemeinsamer Nenner eine Kritik/Unzufriedenheit am derzeitigen System ist.

Keiner dieser Menschen (von ein paar Eingeweihten und Initiatoren abgesehen) hatte zu jenem Zeitpunkt vor zwei Wochen auch nur irgendeine andere Menschenseele hier gekannt. Wir waren uns wildfremd. Wir hatten keine Ahnung, wer im Nachbarzelt lag. Wir hatten noch weniger Ahnung, was in all diesen anderen, wildfremden Köpfen vor sich ging. Zunächst war uns das auch zweitrangig, denn unser oberstes Anliegen war ganz klar: in dieser kleinen Zeltstadt von Wildfremden eine Infrastruktur aufzubauen, die halbwegs funktioniert und den menschlichen Basisbedürfnissen gerecht wird (schlafen, essen, Wärme, Wasser, Stromversorgung über Generatoren, Sicherheit besonders nachts usw. usw.).

Täglich kommt es vor, dass diese Infrastruktur - die im Prinzip steht - partiell wieder zusammenbricht, weil halt irgendetwas Unvorhergesehenes passiert oder etwas schief läuft oder, im Einzelfall, gezielte Sabotageakte stattfinden. Täglich entstehen teils massive Konfliktsituationen aus der unmittelbaren Nachbarschaft des Camps zum Frankfurter Bahnhofsviertel. Täglich stehen wir vor der Herausforderung des organisierten Diebstahls und des Missbrauchs der von uns geschaffenen Infrastruktur. Und jeden Tag, den der Herrgott gibt, raufen wir uns irgendwie zusammen und bringen das, was aus dem Ruder läuft, wieder in einen Zustand der - prekären - Balance, in dem alle in Ruhe schlafen, essen, sich wärmen und miteinander leben können. So lange, bis das nächste Ding aus dem Ruder läuft.

Das permanente Aufrechterhalten dieser Infrastruktur ist auch deshalb so wichtig, weil täglich neue Menschen zum Camp stoßen. Neue, wildfremde Menschen, die keiner von uns 'Altcampern' kennt; wildfremde Menschen, von denen keiner eine Ahnung hat, was in deren Köpfen vorgeht (siehe oben). Es geht also, in gewissem Sinne, jeden Tag, den der Herrgott gibt, wieder von vorne los, um die Neuankömmlinge in die bestehende Infrastruktur zu integrieren oder um diese Infrastruktur zu erweitern und zu stabilisieren oder um erneut Hand anzulegen, weil halt wieder mal irgendetwas zusammengekracht ist, ein Zelt aufgeschlitzt oder ein Hauptkabel zerlegt wurde.

Inmitten dieses alltäglichen Gewusels und Geschaffes, dem dabei naturgemäß stattfindenden Sichkennenlernen, Sichnäherkommen, Sympathien entwickeln, Antipathien entwickeln - schlagen wir uns jetzt mit den Problemen (auch: Gerüchten!) des Unterwandertwerdens herum. Da den 'Unterwanderern' die Unterwanderungsabsichten nicht auf der Stirn geschrieben stehen, haben wir damit zu leben, dass die Unterwanderer mitten unter uns leben.

Um es ganz platt zu sagen: Es gibt kein "Wir" (die 'Guten' mit den lauteren politischen Absichten) und "die anderen" (die 'Bösen' mit den unlauteren Hintergedanken), denn diese dubiosen "anderen" gehören automatisch zum "Wir", ob "uns" das passt oder nicht. Wir müssen damit leben. Es geht nicht anders. Es ist ein offenes Camp, dessen Stärke und Schwäche darin besteht, dass es ein offenes Camp ist.

Alles, was "wir" tun können, um professionellen Hijackern das Handwerk zu legen, ist: wachsam bleiben, ohne paranoid zu werden; offen nach allen Seiten bleiben, ohne blauäugig zu werden; das ungute Gefühl ertragen, dass der nette Kumpel von gestern abend möglicherweise ein Fall von einstudierter Nettigkeit war; gesundes Misstrauen entwickeln, ohne sich vom Misstrauen beherrschen zu lassen. Mit einem Wort: sich nicht verrückt machen lassen. Denn wenn wir alle anfangen am Rad zu drehen, ist das Ende des Camps vorprogrammiert.

Es gab hier schon Tage, da waren Zersetzungsprozesse in der Camp-Atmosphäre mit Händen greifbar - du läufst da durch, hörst dich hier um, redest dort mal mit jemandem, bleibst einfach mal irgendwo stehen, um alles auf dich wirken zu lassen und spürst, dass etwas Zersetzendes am Gären ist. Vorgestern war so ein Tag. Fühlte sich grässlich an. Du denkst: Mist, das Ganze geht den Bach runter.

Und dann geschehen merkwürdige - kann man sagen: 'gruppendynamische'?, ich weiß es nicht, bin an der Stelle völlig überfragt - Prozesse, die dazu führen, dass das gesamte Camp sich wieder fängt und in die Spur findet; als ob das Camp einen kollektiven Beschluss gefasst hat, sich gemeinsam am Schopf aus dem Zersetzungsmorast wieder herauszuziehen. Nur: Da hat niemand etwas beschlossen, da wurden keine Durchhalteparolen ausgegeben, da hat keine Plenumsdiskussion stattgefunden, da steht nichts Sinngemäßes am schwarzen Brett, und trotzdem - das Camp fängt sich und lässt es nicht zu, dass die vom Umkippen bedrohte Atmosphäre länger als einen Tag andauert. Diese Stärke, diesen Willen, diese unsichtbare Integrationskraft zu erleben ist etwas sehr Einzigartiges. In solchen Momenten liebe ich das Camp.

Ich muss aus meiner persönlichen Sicht dazu sagen: Es kommt vor, dass sich im Laufe nur eines Tages meine Einschätzung des Camps bzw. #occupyfrankfurt mindestens zehnmal ändert. Es gibt Tage, da bin ich nur am Fluchen, weil mich alles nervt. Während der letzten zwölf Tage habe ich bestimmt schon fünfmal beschlossen, mein Zelt abzubrechen und nachhause zu gehen. Das Komische ist: Ich bleibe. Egal, wieviel ich fluche, genervt bin oder an schlechten Tagen denke: ist doch alles für die Katz'. Ich stehe dann ganz erstaunt neben mir und nehme zur Kenntnis: Nanu, du bist ja immer noch hier.

Ja. Sieht so aus, als ob ich bleibe. Und viele andere bleiben auch. So weit ich das mitbekomme, springt hier kaum einer ab. Obwohl fast alle, die ich kenne, temporär am Fluchen sind und mal wieder die Schnauze gestrichen voll haben. Manchmal fluchen, schimpfen und lästern wir mit vereinten Kräften, um anschließend festzustellen: Das war jetzt wie eine erfrischende Dusche, hat gut getan, hat gereinigt, hat Raum geschaffen für Konstruktives, Freundschaftliches, Politisches, Wichtigeres als situatives Verstimmtsein. So etwas trägt, gibt Kraft und macht immer neugieriger auf das, was dieses Camp noch so alles hervorbringt.

Und dann diese Begegnungen vor dem Küchenzelt, wenn der Hunger zuschlägt:

"Wie, du bist ja immer noch da?"
"Klar, wo soll ich denn sonst sein?"
"Sagtest du nicht gestern, du wolltest...?"
"Spinnst du?"
"Nö, aber sagtest du nicht gestern...?"
"Mensch, das war gestern!"
"Ach so. Kann es sein, dass du gestern ein bisschen gesponnen hast?"
"Kann sehr gut sein."
"Ist ja auch egal. Hauptsache, du bist immer noch da."

Und dann holen wir uns heiße Suppe und setzen uns ins Gras und die Sonne scheint und das Camp wuselt um uns herum und wir schlürfen geräuschvoll Suppe und gucken uns an und müssen fürchterlich lachen. Weil wir beide immer noch da sind. Obwohl der andere Suppenkasper bereits vorgestern angekündigt hatte, ihm würd's jetzt allmählich reichen. Wir bleiben. Und fluchen. Und schlürfen. Und lachen.
Und bleiben.


Mittwoch, 26. Oktober 2011

Einsatzfahrzeuge



So sieht sie aus, unsere fabelhafte Mitfahrzentrale bei #occupyfrankfurt.
(Zum Vergrößern Bild anklicken)

Ein Infotelefon haben wir jetzt auch:
Occupy Frankfurt
0174-405 0504

Vielleicht klappt es ja, über das Infotelefon Mitfahrwünsche abzuwickeln.

Allerdings habe ich inzwischen eine Art robustes Misstrauen entwickelt, was das Funktionieren solcher Detail-Infrastrukturen auf dem Camp betrifft, und empfehle daher, etwaige Suche-/Biete-Gebote hier auf dem Blog zu hinterlassen. Ich werde sie dann entsprechend weiterleiten bzw. einfach nachts mal einen LKW kapern oder so. Versprochen.

Dienstag, 25. Oktober 2011

Spenden und Spendieren


(zum Vergrößern Bild anklicken)

So sieht der momentane Sachspendenbedarf bei #occupyfrankfurt aus, Stand heute 17 Uhr. Wir freuen uns riesig über alles, was vorbeigebracht wird. Über "flexible" Geldspenden freuen wir uns natürlich auch, siehe der dezente Einschub unter 'Media-Center'.

Hoffentlich schaffe ich es bald, die Spendenkontonummer aufzutreiben.
Oder weiß jemand sie vielleicht schon?
Update:
Marc hat sie als erster gewusst, vielen Dank!

Occupy Frankfurt
Kontonummer: 6020953500
BLZ: 43060967
GLS Bank


Das Spenden hat ja viele Gesichter. Auch ganz kleine, herzerwärmende. Als ich heute früh an die Tonne trat, kam die Schreckensmeldung, der Kaffee sei leider grade alle. Katastrophe, seufzte ich leidend, worauf ein mir fremder Mensch an der Tonne meinte, am nahegelegenen Kiosk gebe es frischgebrühten Kaffee zu kaufen. Noch mehr Katastrophe, seufzte ich noch leidender, dazu müsste ich ja die wärmende Tonne verlassen, ging gar nicht. Der Mann verschwand.


Fünf Minuten später kam er zurück und stellte mir ein Frühstück vom Kiosk auf die Bank. Einfach so. So etwas haut mich um. Weil es so umwerfend herzerwärmend ist.

Danke.

Montag, 24. Oktober 2011

Auf der Hut


Gestern abend war das Fernsehen da, was nichts Besonderes ist. ARD. Auch nichts Weltbewegendes. Die ARD hat die komplette gestrige (öffentliche) Abend-Vollversammlung von #occupyfrankfurt gefilmt. So weit auch nichts besonders Weltbewegendes. Aber:

Das, was die ARD gestern abend gefilmt hat, war keine normale, typische Vollversammlung, wie sie seit gut einer Woche (meist mehrmals täglich) auf dem Campgelände stattfindet. Bei dem, was gestern abend öffentlich stattfand, gefilmt wurde und demnächst in irgendeiner aufgezeichneten Form ausgestrahlt wird, handelt es sich - zumindest zu 80 Prozent - um einen Fake. Ein Konstrukt. Eine Inszenierung.

Wie ich zu dieser Behauptung komme?

Gestern abend saß ich zusammen mit drei anderen Dauercampern der ersten Stunde in einem Zelt. Wir hatten vor, später gemeinsam zur Vollversammlung zu gehen, und haben uns solange angeregt unterhalten. Dass das Fernsehen aufschlagen würde, wussten wir zu dem Zeitpunkt noch nicht. Irgendwann hörten wir, wie die Versammlung startete. Als wir zum Zelt herauslugten und den Versammlungsplatz in vollem TV-Scheinwerferlicht sahen, beschlossen wir (vier Camp-Medien'geschädigte') spontan, sitzen zu bleiben und die Diskussion nur akustisch zu verfolgen.

Manchmal hören Ohren mehr als Augen sehen.

Was wir hörten, war keine Versammlung, wie wir sie gewohnt waren. Keine einzige der Stimmen, die zu Beginn relativ lange Redebeiträge lieferten, war uns vertraut. Sowohl Inhalte als auch Tonfall dieser Redner haben uns befremdet. So redet keiner von uns. Wir hörten eine aalglatt-routinierte, irgendwie an PR erinnernde Sprechweise mit agitatorischem Einschlag. Es waren fremde Leute, die bisher noch keiner von uns am Mikrofon/Megaphon erlebt hat, vor allem noch nie in dieser prägnanten Wortführerpose. Später erfuhren wir, dass einigen altgedienten '#occupyfrankfurtern' verweigert wurde, sich auf die Rednerliste setzen zu lassen.

Wir sind alarmiert (nicht erst seit gestern abend, aber besonders seit gestern abend).

Im Moment nur so viel:
Das, was von der ARD von der gestrigen Abendversammlung gesendet werden wird, bitte ich alle, die es sehen werden, mit äußerster Vorsicht zu genießen. Das waren nicht wir von #occupyfrankfurt - das waren, zu gut 80 Prozent, gezinkte Karten.

Das, was hier im Camp an Unterwanderungs- und Manipulationsversuchen geschieht, ist bei der momentanen - extrem offenen, in vielen Bereichen nur provisorisch funktionierenden - Organisationsstruktur von #occupyfrankfurt äußerst schwer unter Kontrolle zu bekommen. Es sind unerfreuliche Phänomene, die uns beunruhigen. Aber wir bieten die Stirn. Nach Kräften.

Dies ist keine über einen langen Zeitraum gewachsene, gereifte Bewegung; #occupyfrankfurt ist ein extrem dynamisches, schwer überschaubares Geschehen, das sich innerhalb von nur einer Woche in einem Mördertempo von Null auf 180 beschleunigt hat. Es ist - im sozialen wie politischen Sinne - ein Experiment. Ein Prozess. Ein Prozess, der unsere Energien auffrisst, sie ausspuckt, uns auslaugt und ständig mit neuer Energie versorgt. Oft fühlen wir uns ratlos, ausgebrannt, überfordert. Gehört dazu. Ständig passieren und entwickeln sich Dinge, die uns mit frischen Energieschüben versorgen. Daran haben wir uns gewöhnt. Wir sind fest entschlossen, das Beste daraus zu machen.

Sonntag, 23. Oktober 2011

Morgentratsch


Ha!

Grade bisschen bei den amerikanischen occupy-Kollegen rumgelungert, guten Stoff gefunden zum Generalthema 'Unterwanderung' ('infiltration'), steht hüben wie drüben ganz oben auf der Besetzer-Tagesordnung:


Man beachte den in Anonymous-Maske posierenden Esel rechts außen.
(Erhellendes zur 'political animal'-Symbolik hier.)

Ich geh' jetzt frühstücken. Eben wurde ein Riesensack ofenfrischer Brötchen gespendet. Dank an alle großzügigen unbekannten Frankfurter! Eure Hilfsbereitschaft hält uns Leib und Seele beieinander!

P.S.:
Wen's interessiert: Unsere Dixi-Klos wurden übrigen von der Partei Die Linke finanziert. Was völlig in Ordnung ist, solange auf keinem der sechs Häusl irgendwelche Partei-Logos pappen.

Samstag, 22. Oktober 2011

Kommen, gehen, bleiben, reden


Mit Einbruch der Dunkelheit verändert sich fast schlagartig das Bild im Camp, jeden Tags aufs neue, und jeden Tag fasziniert es mich aufs neue: Die technikbewehrte Medienplage verzieht sich, die Camper kehren ins Camp zurück (viele gehen tagsüber arbeiten oder ergreifen die Flucht vor den Kameras), draußen tobt die Rush Hour, es riecht nach frischgekochter heißer Suppe und nach Feierabend.


Jeden Abend wandern auf ihrem Nachhauseweg Kolonnen von Berufstätigen durch die Taunusanlage, wollen zur Straßenbahn, zum Parkhaus, schieben ihre Fahrräder durch das Camp, das sich allabendlich füllt und anfängt zu vibrieren. Viele dieser Menschen bleiben einfach hängen im Camp; manche aus Neugierde - für andere ist es bereits zur Gewohnheit geworden, sich eine heiße Suppe zu besorgen, das Fahrrad abzustellen, die Straßenbahn davonfahren zu lassen und sich unter das wuselnde Campvolk zu mischen. Irgendwann beginnt das Camp zu brummen.

Jeden Abend passiert es, dass urplötzlich, wie aus heiterem Himmel, eine Gesprächsgruppe sich bildet. Dann zwei, dann drei, und irgendwann ist gar nicht mehr zu überblicken, wieviele Gruppen eigentlich entstanden sind - es sind nur noch Massen von dick vermummten Menschen zu sehen, die im Kreis stehen, auf Bänken im Karree sitzen, der Kälte trotzen, angespannt zuhören, dann heben sie die Hand - manche zaghaft, manche forsch - und fangen an zu sprechen, gelegentlich in ein Mikrofon, viele bestimmt zum ersten Mal in ihrem Leben, und wo im Einzelfall das Mikrofon hergekommen ist, ist mir schleierhaft, irgend jemand treibt es auf, stellt es in die Mitte und dann geht es einfach los. Ohne Ankündigung, ohne Organisation, ohne Aufruf, ohne Tagesordnung, ohne Uhrzeit.


Immer mehr Passanten schieben sich durch den Park, sehen die diskutierenden Menschenansammlungen, bleiben stehen, schauen verwundert, ungläubig, auch misstrauisch, nähern sich vorsichtig einer der spontanen Gesprächsgruppen auf Hörweite; innerhalb weniger Minuten weicht das Misstrauen und das Rühr-mich-bloß-nicht-an im Gesichtsausdruck einem vitalen Interesse, dabei zu sein, dazu zu gehören, alles mitkriegen zu wollen und endlich auch mal selber etwas zu sagen, in einer Gruppe völlig wildfremder Menschen, von denen keiner den anderen kennt, die nach einer halben Stunde wieder in alle Richtungen auseinanderstreben und - so stelle ich mir das vor - etwas mit nachhause nehmen. Etwas, was viele dieser wildfremden Menschen veranlasst, am nächsten Abend wieder vorbeizukommen, diesmal mutiger, erwartungsvoller, vielleicht mit einem Gesprächsthema, das ihnen schon lange unter den Nägeln brennt. Es gibt Leute, die fischen aus ihrer Bürohandtasche ein mitgebrachtes Sitzkissen mit Iso-Beschichtung und eine Thermosflasche heraus, weil sie bereits wissen, dass es hier abends empfindlich kalt ist.

Jeden Abend haut mich das aufs neue um. Dieses Kommen und Gehen, dieses Bleiben, dieses Teilhabenwollen, diese ausgehungerte Gesprächslust, diese Erkenntnis: Die Stadt ist ein offener, öffentlicher Raum, der uns allen gehört. Man muss ihn sich nur nehmen.


Freitag, 21. Oktober 2011

Nervensägen


Achtung Rant.

Es gibt eine Sorte Menschen, die ich hiermit so dringend wie leidenschaftlich wie intolerant dazu auffordern möchte, sich vom #occupyfrankfurt Camp an der EZB zu absentieren.

Haut einfach ab.

Und zwar sofort und unverzüglich, ohne über Los zu gehen und auch ohne nochmal kurz an unserem genialen Fress- und Saufzelt sich die Wampe vollzuhauen, um dann wohlgenährt an der warmen Tonne stehend so klugzuscheißen, dass sich die glühenden Holzbalken verbiegen und den schlotternden Campbewohnern sich sämtliche Zehennägel an den kalten Füßen nach oben rollen.

Ich spreche von Leuten, die nach erfolgtem Klugschiss und gratis gefülltem Magen nachhause in ihre geheizte Bude zurückkehren, nachdem sie sich ein paar Stündchen Flanieren - inklusive Klugschiss, um den sie keiner gebeten hat - auf dem Camp gegönnt haben, um hernach in der gemütlich warmen Bude - wahlweise auch gemütlich warmen Stammkneipe - im Bekanntenkreis herumzutrompeten "du, ich war heute bei #occupyfrankfurt und weiß jetzt wo's lang geht", wobei, um die Adressaten meines Rants zu einzugrenzen, es sich um Leute handelt, die ohnehin schon immer gewusst haben, wo's lang geht und eben darum das Camp aufsuchen, um den Campern ungefragt mitzuteilen, wo's lang geht.

Es sind dies Leute, die so lauwarm wie unglaubwürdig "diese, na ja, Bewegung" "irgendwie" "im Ansatz" als "na ja, schon ganz in Ordnung" gutheißen, jedoch kübelweise paternalistisches Geschwafel über diese, na ja, Bewegung ergießen, weil diese na-ja-Bewegung nichts Gescheites, Strukturiertes, Sinnvolles, Vernünftiges, "konsequent zu Ende Gedachtes" an - Achtung, jetzt kommt's - "Kapitalismuskritik" zu artikulieren in der Lage sei. Wo diese na-ja-Bewegung doch nur mal auf jene gescheiten, strukturiert denkenden, vernünftigen, konsequent zu Ende denkenden, sattgefressenen Kapitalismuskritiker hören müsste, um endlich mal einen Plan von der Materie zu kriegen und den Kapitalismus so zu bekämpfen, wie es jene Kapitalismuskritiker für richtig halten.

Es sind dies Leute, die sich voller Häme daran aufgeilen, dass sie im Fernsehen "irgend so einen jungen Quasselkopf" aus dem Camp gesehen haben, der sich beim Interview "um Kopf und Kragen geredet", dabei nur halbgares Blech von sich gegeben habe und darum ein leibhaftiger Beleg dafür sei, dass diese na-ja-Bewegung keine Ahnung hat, was sie eigentlich will.

Es sind dies Leute, denen es nicht in die linksverbohrte Birne will, dass jeder im Camp individuell für sich selbst spricht und keinesfalls als Sprachrohr der Gruppe auftritt. Und dass die Gruppe deshalb - noch - unstrukturiert ist, weil Gruppen es nun mal so an sich haben, dass sich ihre Teilnehmer erst finden und austauschen müssen, bevor es ans stramme Strukturieren geht und die ganze Chose "auf Linie" gebürstet wird. Sofern die Gruppe überhaupt auf Linientreue Wert legt. Tut sie nämlich nicht. Geht aber in linksverbohrte Birnen nicht rein. Sonst wären sie ja nicht so verbohrt.

Es sind dies Leute, die den täglich stattfindenden öffentlichen Assambleas (Camp-Vollversammlungen) beiwohnen - selbstverständlich nur am äußersten Rand der Runde herumstehend, so dass keiner auf Idee kommen könnte, sie gehörten dazu - und sich von dort aus über Inhalte, Diskussionskultur, Slogans und Kompromissfindungsversuche mokieren, aber nicht im entferntesten auf die Idee kommen, sich selbst physisch zu exponieren, ans Mikrofon zu schreiten, Farbe zu bekennen, sich einzumischen, mitzumischen.

Es sind dies Leute, die lieber im Hintergrund bleiben und von dort aus vor sich hin mosern mit einer vor Arroganz triefenden Besserwisserei, die jedoch - vom Vordergrund aus - betrachtet, rüberkommt als billige, erbärmliche Feigheit.

Es sind dies Leute, die behaupten, die Bewegung "irgendwie" zu "unterstützen", ja, die sich sogar "vorstellen können", sich mit der Bewegung zu solidarisieren, wenn - ja, wenn! - die Bewegung endlich mal zu Potte käme und "klare Forderungen" und "eindeutige Ziele" formulierte.

Es sind dies Leute, deren Birnenverbohrungsgrad schon so weit fortgeschritten ist, dass sie gar nicht merken, wie wenig sie mit ihrem Verhalten die Bewegung unterstützen; die in ihrem linken Bohrloch so tief festsitzen, dass ihnen jede Form der kritischen Selbstwahrnehmung und der Reflektion über die Außenwirkung ihres eigenen Verhaltens komplett abgeht; die nicht gerafft haben und vermutlich auch nie raffen werden, dass süffisanter Klugschiss, mokantes Sichdistanzieren und, ansonsten, Sichraushalten aus der ganzen Chose exakt das Gegenteil dessen ist, was jene Labertaschen via lauwarmem Lippenbekenntnis unermüdlich absondern: Unterstützung, Solidarität.

Leute, lasst uns in Ruh. Geht einfach nachhause. Oder in eure Kneipe. Da, wo's gemütlich warm ist und ihr mit euren Kumpels das machen könnt, was ihr am besten könnt: Labern. Klugscheißen. Besserwissen. Im Dreierpack. Folgenlos, versteht sich. Wenn wir uns im Camp schon Tag und Nacht den Hintern abfrieren, dann geht uns bitte wenigstens nicht auf die Nerven.

Donnerstag, 20. Oktober 2011

Gemischte Gefühle


Extrem dicke Luft im Camp. Spannungen, Störungen. Von innen. Von außen. Möglicherweise Störungen, die (gezielt) von außen nach innen getragen werden, um innere Störungen zu provozieren. Ungut. Drückt auf die Stimmung. Wenn das Gefühl verloren geht, in einem geschützten Raum zu leben, wird's kritisch.


Klingt kryptisch, ich weiß, und für die Leser wenig befriedigend. Geht leider im Moment nicht anders. W-Lan funktioniert auch noch nicht richtig.


Die Presse wälzt sich bereits wieder quer durchs Camp. Manchmal werde ich den Eindruck nicht los, sie suchen bewusst nach Interviewpartnern, die man - zum gegebenen Zeitpunkt - 'vorführen' kann. Die entsprechenden Stories, hat mir gerade ein Insider erzählt, lägen bereits fix und fertig in den Schubladen und warteten nur noch auf den 'gegebenen' Zeitpunkt. Macht auch nicht eben blendende Laune. Also nicht wundern, falls demnächst die überwiegend 'positive' Medienberichterstattung ins Kippen kommen sollte.

Andererseits kam heute früh um halb acht im strömenden Regen ein Mensch und hat einfach so 150 Euro bar in das Spendenschwein gesteckt. Ein Fachmann für sogenanntes "Regiogeld" (anscheinend im Chiemgau bereits in Umlauf), hochinteressant. Wir laden ihn zu einem Workshop über alternative Geldsysteme ein. Große Freude kam auf.

Eigentlich könnte alles so schön sein.

Grenzenlos schön.

Wenn nur die Grenzen nicht wären.

Dienstag, 18. Oktober 2011

Irgendwas mit Medien



Früher oder später holt er einen, der Lagerkoller. Bei mir kam er gestern. Er pirschte sich frühmorgens auf leisen, aber unsanften Pfoten an mich heran, als ich nach langwieriger Entmumifizierung (saukalt, die Nächte) aus meinem Zelt kroch und, noch schlaftrunken schwankend, der bullernden Wärmetonne zustrebte. Statt der gewohnten, extrem gemütlichen und entspannten Tonnenfrühbesetzung hatte irgendein Fernsehkamerateam es für eine gute Idee gehalten, dort ein längliches Interview zu filmen.

"Coole Atmo, los, wir nehmen die Tonne", hörte ich den Kameramann sagen, und so geschah es. Sie belegten die Tonne mit Beschlag, wegen der coolen Atmo. Was, im Gegenzug, für die Frühauf(und Tonnen-um-)steher zwangsläufig zu einer ziemlich uncoolen Atmo führte, weil, man darf ja dann nichts mehr reden, wenn das Fernsehen da ist, nicht wahr. "Sonst haben wir Störgeräusche in der Aufnahme", wurde uns beschieden. Wer will schon das Fernsehen stören? Da lassen wir uns doch lieber vom Fernsehen bei unserer frühen Aufwärmsession stören. Infolgedessen kriegte ich einen dezenten Hals, denn Störungen meiner liebgewonnenen morgendlichen Rituale kann ich auf den Tod nicht verknusen.

Wenn's nur das gewesen wäre - es ging aber so weiter. Das Camp #occupyfrankfurt war in einem ganztägigen Belagerungszustand der Medien. Überall bahnten sich Riesenmaschinen von Kameras ihren Weg, alle Naselang wurde ein Mikrofon vor der Nase plaziert, bald waren mehr Medialeute als Camper unterwegs, viele zogen sich genervt ins Zelt zurück oder suchten das Weite. Missmutig schaute ich dem Treiben vom Zelt aus zu, zack!, fädelte sich ein Kamerateam durch die eng stehenden Zelte, steuerte zielstrebig auf mich zu und fand, dass ich in der Zeltöffnung ein "sehr authentisches Motiv" abgebe, "wir wollen Stimmungen einfangen, wissen Sie", und wenig fehlte, und ich hätte meine momentane Stimmung explosiv in die Kamera artikuliert.

Selbstverständlich riss ich mich zusammen und beließ es bei einer höflichen Ablehnung; schließlich sind wir bei #occupyfrankfurt erstens konsequent gewaltfrei unterwegs und haben uns zweitens darauf geeinigt, auf die Instanz eines Pressesprechers zu verzichten, so dass jeder Camper den Medien Rede und Antwort steht und das erzählt, was er/sie für richtig hält. So weit, so gut, so basisdemokratisch.

Nur, wenn ich dann irgendwann vor lauter Hunger das Zelt zu verlassen wage und mich wie ein Wolf über das (großartige! - es wird jeden Tag besser, danke Küchenteam!) Vormittagsbuffet hermache -


- und beim beidhändigen Beschmieren eines Brotes wehrlos einem in mein Gesicht gehaltenen Mikrofon ausgeliefert bin, es schaffe, mit einem Wahnsinnskäsebrot und einem Kaffee einen Platz an der warmen Tonne zu ergattern, mit Heißhunger am Kauen bin und dann urplötzlich aus dem Hinterhalt neben dem Käsebrot ein Mikrofon vor meinem Mund auftaucht und jemand Wildfremdes mit ins Gesicht reingeliftetem Grinsen mir die Frage aller Fragen entgegenfeuert: "Warum sind Sie hier?", dann, ja, dann kann ich nicht anders als wahrheitsgemäß zu antworten: "Weil ich Hunger habe und hier ein schönes warmes Plätzchen ist" und - da das Mikrofon vor meinem Mund sich keinen Zentimeter wegbewegt - zu ergänzen: "Darf ich bitte in Ruhe weiteressen?" Die vom Fernsehen kriegen das nämlich von alleine nicht mit, dass man sich gerade mit vollen Backen der genüsslichen Nahrungszufuhr hingibt und keinerlei Lust auf medial gewünschtes Multitasking hat.

So ging das den lieben langen Tag. In einer Tour. Dieser mediale Belagerungszustand (wir haben ihn "occupy #occupyfrankfurt" getauft) geht - mehr als Kälte und meterlange Schlangen vorm Dixi-Klo - mächtig an die Substanz. Weil die Omnipräsenz der Medienleute, samt ihren offensiven Annäherungsversuchen und der daraus resultierenden eingeschränkten Bewegungsfreiheit, irgendwann das ungute Gefühl erzeugt: Das ist nicht mehr mein Camp, nicht mehr unser Camp, sondern fühlt sich an wie im Zoo.

Denn schließlich leben wir in diesem Camp. Wir verbringen die Tage und die Nächte dort. Wir sind nicht bloß mal so auf Besuch da. Diese kleine Zeltstadt mitten in der Frankfurter Finanzzone hat innerhalb weniger Tage bei uns ein Zugehörigkeits- , ein Heimatgefühl ausgelöst, über das ich selbst grenzenlos staune. Ich gehöre dorthin, basta. Wenn ich mich vom Camp entferne und nach ein paar Stunden zurückkehre, merke ich, dass ich kurz vor Erreichen der EZB schneller radle. Weil ich es nicht erwarten kann. Ich will da hin. Ich gehöre da hin.

Nach der gestrigen Medien-Ochsentour legte ich mich nachts mit diesem grummelnden Gefühl der 'Heimatlosigkeit' schlafen und beschloss: Morgen nimmst du dir eine Camp-Auszeit. Aber dann kommt es immer anders als man denkt: Heute früh gegen sieben Uhr taperte ich verschnarcht-verschwiemelt-vergrätzt zur Tonne, sah von weitem, dass die komplette Frühschicht versammelt war,

Zeitung lesend,

Zeitung vorlesend,

Zeitung mitlesend,

und fühlte mich auf der Stelle entschnarcht, entgrätzt, entschwiemelt und wieder zuhause. Einer der Earlybirds brachte mir einen frischgekochten Kaffee. Langsam wurde es hell. Ein Polizist kam vorbeischoben, wackelte mit dem Zeigefinger und meinte, diese Tonne sei nicht ungefährlich, wenn man ihr zu nahe käme. Zur Veranschaulichung tippte er mit dem Zeigefinger gegen den Tonnenrand und verbrannte sich höllisch. Fanden wir alle sehr erheiterlich, auch der Polizist.


Überhaupt, die Tonne setzt ungeahnte Energien frei. Martina, ein temperamentvolles Frühgeschöpf mit sympathisch großer Klappe ("ey, ich hab' seit drei Tagen in keinen Spiegel mehr geguckt und wisst ihr was? - das ist ein so geiles Gefühl!") -


- hielt aus dem Stegreif eine flammende Laudatio auf #occupyfrankfurt.

Es kam, wie es kommen musste: Augenblicklich war ihr die frühmorgendliche Medienmeute auf den Fersen. "Okay, aber nicht hier an der Tonne, da stören wir nur", willigte Martina ein, und dann zog sie vor der Kamera ein Ding ab, dass den beiden TV-Damen (geschminkt&gestylt) Hören und Sehen verging.


Die Tonne (nicht im Bild) tobte vor Begeisterung.

War noch was? Ach ja:


Montag, 17. Oktober 2011

Kalt um den Hintern, warm ums Herz



Die ersten beiden Nächte sind überstanden.
Schon ziemlich rustikal.
Zu kalt.
Zu hart.
Zu eng.
Zu laut.
Irgendwo ein bisschen exterrestrisch und durchgeknallt das Ganze.
Alles in allem: Zum Drangewöhnen.
Sofern jemand dem gewissen Durchknallfaktor etwas abgewinnen kann.
Ich kann.

Allein schon deshalb.

Aber auch deshalb:
morgens aufwachen und Zelte entdecken,
die am Abend vorher noch nicht dort gestanden sind.
Es sind inzwischen über dreißig Zelte.

Und natürlich deshalb...

...und deshalb:
sich wundern, wie schnell es geht, sich heimisch in einer kleinen, improvisierten Parallelwelt zu fühlen; alles nicht mehr so eng sehen (obwohl alles ziemlich eng ist, siehe oben); sich irgendwie durchwurschteln; auf Gewohntes verzichten; hinnehmen, dass das alles mit Veilchen und Lavendel wenig zu tun hat.

...und - damit in Zusammenhang - deshalb:
So erstaunlich leicht einerseits der Abschied von gewissen Standards fällt, die gemeinhin unter das Stichwort "Zivilisation" fallen - und dann andererseits entdecken, dass die guten alten Spießerreflexe nach wie vor aus der zwei Tage alten Wäsche und dem Zelt rausgucken: In der Nachbarschaft des eigenen Zeltes wird es immer enger, die fremden Zelte kommen näher, zwei Meter entfernt baut schon wieder ein Neuankömmling auf - abchecken, sprich: geiern&gaffen! Ist der Neue okay? Ist der in unmittelbarer physischer Nähe zu ertragen? Wie, auch noch mit Hund? Was, wenn die Töle nachts am Bellen ist? Jessas, der Köter wird sich doch nicht etwa im Zeltumkreis entleeren? Mann, könnte der sein Zelt nicht irgendwo anders, bitte, nur nicht grade hier?

Mitkriegen, dass der Neue schwer in Ordnung, sein Hund ein toller Aufpasser (die Zelt-Nachtwache funktioniert noch nicht so hundertprozentig) und sein Campingstühlchen erste Sahne ist.

Und dann diese verdammte Kälte. Abends. Nachts. Frühmorgens.
Kalt, so kalt kalt kalt.

Leere Tonne auftreiben.
Holz hacken. Palettenholz.
Alle zwei Minuten der Ausruf:
Hurra, schon wieder eine Europalette in der Tonne!

Ofen anwerfen.

Wärme. Abends. Morgens. Nachts.
So schön warm, warm, warm.

Keiner muss frieren. Irgendwann steht jeder mal an der Tonne und hält andächtig die Hände ans Feuer. Abends und nachts stehen alle dichtgedrängt - entweder tiefsinnig in die Flammen starrend oder politisierend, meistens beides. Das fabelhafte Wärmefässchen ist zu unserer Dorfkneipe 'Zur Tonne' geworden: Hier erfährt man alle Neuigkeiten, lernt die interessantesten und komischsten Leute kennen, hört zu, mischt sich ein, diskutiert engagiert, macht Platz für halberfrorene Neuankömmlinge, steht noch dichter, spürt, wie Bauch und Hände wohlig warm werden, dreht sich um, lässt den Hintern rösten, diskutiert dabei weiter - skurrile Bilder sind das, die ich nie vergesse: Zwei Stammgäste debattieren hitzig, der Tonne zugewandt, drehen sich um, wärmen sich die Körperrückseite, gebückte Haltung (Po friert am empfindlichsten), debattieren dabei ungebremst weiter, aber ohne Blickkontakt, weil das sonst mit dem Poaufheizen nicht mehr funktionieren würde. Ich liebe so etwas.

Wenn's um die Tonne zu voll wird und Bauch&Po aufgewärmt sind, wird auf den Rasen ausgewichen. Überall bilden sich Grüppchen mit sich wildfremden Menschen, die wie ausgehungert anfangen, miteinander zu reden und konzentriert zuzuhören.


Und ruckzuck machen Themenvielfalt und Gesprächsbedarf aus einer Gruppe zwei Gruppen:

Es pulsiert hier. Etwas vibriert.

Gegenüber vom Camp ist das Frankfurter Schauspiel (viertes Bild von oben). Nach der Abendvorstellung strömen Theaterbesucher heraus und schauen sich verdutzt das Camptreiben an. Die meisten bleiben am Rand stehen. Einer im feinen Zwirn meint mit spöttischem Lächeln und Blick auf die lodernde Dorftonne: "Wie, und soo wollt ihr den Kapitalismus besiegen?" Er findet keinen rechten Anschluss. Die Leute sind vollauf mit Händewärmen und Diskutieren beschäftigt. Der im Zwirn beobachtet längere Zeit die Tonne. Dann wendet er sich ab und verschwindet.

Wärmste Empfehlung an verdutzte Theatergänger: Der beste Gesprächseinstieg, um mit den Campern in Kontakt zu kommen (wenn es denn wirklich gewünscht wird), wäre der hier: "Kann ich dir ein warmes Getränk spendieren?", und dann: einfach sich an die Tonne stellen. Ohne große Umstände. Ohne Berührungsängste. Ohne distanzierende Sottisen. Ohne näselnde Besserwisserei. Und gut aufpassen, dass der Zwirn nicht Feuer fängt.