Freitag, 16. März 2012

Griechische Wurfdisziplin


Im Englischen gibt es jene wunderbar vulgäre Redewendung, die von Kurt Vonnegut - in schriftstellerischer Noblesse - umschrieben wurde mit "after the excrement hit the air-condition", vulg(är)o: "when the shit hits the fan".

Meines Wissens existiert im kontinentalen Europa kein annähernd wortgewaltig-plastischer Sprachmodus, um auszudrücken, dass das Ende der Fahnenstange unwiderruflich erreicht sei (wenn man mal von der am Dampfen befindlichen Kacke absieht) und nunmehr alle Stricke reißen. Schade eigentlich.

Was jedoch nicht bedeutet, dass in Europa keine Gegenstände von halbfester Konsistenz durch die Luft fliegen, welche - wenn auch nicht den Ventilator - so doch den Richtigen treffen. Je nach Provenienz und regionaler Folklore mag es sich dabei um faule Eier (Frankreich), Sahnetorten (Belgien) oder matschige Tomaten (kontinentübergreifend) handeln - Hauptsache, es platscht ordentlich und versaut das Outfit des Zielobjektes nachhaltig ("as long as they stick, stink or stain"), womit die Existenz einer anal-lustvollen Komponente auch im alten Europa bewiesen wäre.

In Griechenland zum Beispiel wird die schöne Tradition des Joghurtwurfes gepflegt. Weil diese Tradition schon sehr alt ist und Übung nun mal den Meister macht, bringen es die Griechen dabei auf eine erstaunliche Treffsicherheit. Nachzulesen ist dies auf einem wunderbaren Blog mit dem so aktuellen wie treffsicheren Namen When the Crisis hit the Fan: Dort findet sich eine Art Anthologie des food throwing als Ausdruck politischen Protestes. Wir erfahren, dass neben den Agrarprodukten Tomaten und Eiern das griechische Joghurt seit den späten fünfziger Jahren zu den beliebtesten Wurfgeschossen gehört, um unbeliebten Politikern eins vor den Latz zu knallen.

Erst vor ein paar Tagen hatte sich auf der Nationalkonferenz der griechischen PASOK Partei ein rüstiger alter Mann mit Gehhilfe unters Parteivolk gemengt. Er wartete den geeigneten Moment ab und pirschte sich dann in die erste Sitzreihe, wo Finanzminister Venizelos unübersehbar thronte. (Venizelos ist der, der unbedingt zum neuen Parteivorsitzenden gewählt werden will, was ihm unschwer gelingen dürfte, da er inzwischen der einzige Kandidat für das Amt ist.) Um die Schulter trug der alte Mann (selbst PASOK-Mitglied) eins dieser harmlosen Stoffbeutelchen, was bei den Sicherheitsleuten keinerlei Verdacht erregte, weil sie dachten, na, darin hat der klapprige Alte bestimmt seinen Tagesproviant verstaut.


Hatte er ja auch, nur war er so pfiffig gewesen, seine aus Joghurt bestehende Brotzeit nicht zu verzehren, sondern sie dem Noch-Finanzminister treffsicher vor den Latz zu knallen. (Wobei, zugegeben, ein Venizelos wesentlich mehr physische Angriffsfläche bietet als ein durchschnittlicher Ventilator, sodass es schon einem Kunststück gleichkäme, daneben zu treffen.) Jedenfalls landete der betagte Schütze einen veritablen Volltreffer, bevor er in Gewahrsam genommen wurde.

Mittlerweile gilt die griechische Kulturgeschichte des Joghurtweit- und nahwurfs als weitgehend erforscht und hat sich - als politische Bewegung - unter dem Namen Yoghurtification wissenschaftlich etabliert. Allerdings werden in der krisenbedingt wachsenden Popularisierung des - wahlweise links- oder rechtsdrehenden - Polit-Projektils auch ernste Gefahren erkannt: höhlt sie doch auf so subversive wie gewalttätige Weise die Autorität der Staatsmacht und deren Träger aus. Nicht jedem Politiker ist nämlich eine Haltung gegeben wie dem Vize-Regionalentwicklungsminister Sokratis Xinidis, der in einem Anfall wahrhaft sokratischer Kontemplation befand: "Für uns alle ist die Zeit gekommen, den Preis zu zahlen. Ich bin bereit, mit Joghurt beworfen zu werden..."

Alle anderen erkennen darin eine Form des bewaffneten Widerstandes und sehen akuten Handlungsbedarf. Zumal in jüngster Zeit das Werfen mit Tzatziki (statt Naturjoghurt) sehr in Mode gekommen zu sein scheint; olfaktorisch natürlich eine gezielte Eskalation - man muss sich ja nur mal vorstellen, was passiert, wenn ein Becher Tzatziki in einen hochtourig rotierenden Ventilator geschleudert wird! Es musste also etwas geschehen:
Zu Recht wurde von den höchsten Instanzen des griechischen Staates darauf hingewiesen, dass die Yoghurtification zwangsläufig in politische Gewalt ausartet und eine faschistische Mentalität zum Ausdruck bringt, die die Institutionen der parlamentarischen Demokratie schwer gefährdet.
Keine Ahnung, wieso mir gerade in diesem Moment der lupenreine parlamentarische Demokrat Schäuble einfällt, dem - glaube ich - noch nie ein Tzatziki ins hyperventilierende Sprachzentrum geschmissen worden ist.
Zweifellos ist dieses hohe Risiko der Grund, weshalb die Polizei darauf trainiert wurde, Untergrundzellen zu identifizieren, in denen Yoghurtification-Verschwörungen im Entstehen begriffen sind; selbst dann, wenn diese sich tarnen als Tzatziki-servierende Restaurants oder Supermärkte, wo Joghurt und andere stumpfe Projektile wie Tomaten erhältlich sind. Ebenso ergreift die Regierung alle notwendigen Schritte, um vegetarische, lakto-vegetarische sowie ovo-lacto-vegetarische Terroristen daran zu hindern, sich im Internet zu organisieren, und um damit die Sicherheit jener ehrlichen Bürger zu gewährleisten, die zufällig in dem großen neoklassischen Gebäude gegenüber von Syntagma Square arbeiten.
Einer der dienstältesten politischen Kommentatoren in Griechenland, Skylakis Frankfurterakis* -
*(Nein, das ist kein zugewanderter Berater aus dem Frankfurter Viertel mit den Bankentürmen, sondern der Deckname des Undercover-Revolutionshundes Loukinakis)
- ging sogar so weit zu empfehlen, faschistisches Joghurt großflächig zu ersetzen durch demokratisches Tränengas.
Darüber wurden sich alle demokratischen Parlamentarier schnell einig und zeigten sich erleichtert, dass nunmehr der Große Griechische Krisenventilator zügig und unbehelligt auf Höchststufe gedreht werden konnte. Bei der Abstimmung im Parlament war ein einstimmiges "Let the shit fly" zu hören.

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