Mittwoch, 23. Mai 2012

Im Windschatten der Dorfsau


Gänsehautproduktion allerorten:

Schreckgespenst (angeblicher) "Linksradikalismus" in Griechenland.

In allen schauerlichen Farben an alle Wände gemalt. Alle wollen mitmalen, allen voran die Medien, die Märkte und, natürlich, die Merkel.
"Die griechischen Wähler müssen die gefährlichen Lügen von Syriza durchschauen"
Syriza, das ist diese angeblich linksradikale Partei auf Erfolgskurs, und deren angeblich linksradikaler Führer Tsipras muss jetzt so dringend wie flächendeckend gemobbt und der Lüge bezichtigt werden, damit den griechischen Wählern ein Licht auf- und der rechtskonservativen Partei Nea Demokratia die Wählerschaft nicht ausgehe.
"Sie müssen wissen, dass das, was ihnen von Syriza und ihrem jungen Führer Tsipras erzählt wird, eine Lüge ist."
Gut, dieser Tsipras ist ein gerissener Pokerspieler und hat schon durchblicken lassen, das entsprechende Knowhow käme ihm im Politikbetrieb sehr zugute, und vielleicht lügt er das Blaue vom Himmel runter wie alle anderen auch, aber ob er mehr lügt als Medien, Märkte, Merkel samt Muppets, ist doch eher zweifelhaft, weil, noch mehr lügen als die geht einfach nicht. Beweis?
"Die anderen griechischen Politiker kündigen an, dass sie das Austeritätspaket neu verhandeln wollen, und dass Europa inzwischen bereit sei ihnen zuzuhören."
Das waren jetzt mindestens zwei Lügen in einem Satz; für so eine Lügendichte muss selbst ein gefährliches junges Partei-Pokerface erst noch trainieren (...und er ist wirklich gefährlich" - nämlich im Gegensatz zu Francois Hollande, der von den Märkten inzwischen auf "not dangerous" heruntergestuft wurde).

Übrigens, das mit dem Neuverhandelnwollen und der neu entdeckten Lust Europas am Zuhören geht als neueste faustdicke Lüge auf das Konto von Nea Demokratia, an deren Entlarvung jedoch keine Sau im großen finanzkapitalistischen Chor der mobbenden Muppets ein Interesse hat. Entfährt einem Tsipras ein ähnlich lautendes Statement, wird auf den angeblich linksradikalen Spatz mit Kanonen geschossen - "durchgeknallte Extremisten" seien das, die von Syriza.

Das einzig Gefährliche, Durchgeknallte, Extremistische, was mir bisher bei Tsipras aufgefallen ist, ist sein Vorhaben, im Falle eines Regierungsmandates eine sogenannte "Schuldenkommission" bilden zu wollen. Eine Kommission, die die Rechtmäßigkeit des Schuldenstatus von Griechenland und dessen Bankensystem untersuchen soll, um herauszufinden, welche der Schulden auf legalem Weg aufgenommen wurden und wer jeweils davon profitiert hat, wo betrügerische Absicht dahintersteckte und wer sich dabei bereichert hat. Eine Schulden-Untersuchungskommission! Wenn das nicht durchgeknallt und extremistisch, ja, gefährlich linksradikal ist, was dann?

Mittlerweile schwillt das Kanonengetöse der schießwütigen Muppets auf die angeblichen griechischen Linksextremisten so ohrenbetäubend an, dass kaum jemand Notiz davon nimmt, was im Windschatten des ganzen Theaterdonners gerade passiert. Hinter den griechischen Parteikulissen tut sich nämlich Erstaunliches, ja, Erschreckendes, um nicht zu sagen: Extremistisches (Who's who in Greek politics: the radicalization of the right):

Und zwar im Umfeld von Nea Demokratia (angeblich "rechts-konservative Mitte"), jener Partei also, die den Griechen ungeniert Lügen auftischen darf, dass die Schwarte kracht, und keiner merkt's und keiner sagt was. In diesem Umfeld dreht sich in aller Stille ein obskures Personalkarrussell, das einem leicht den Magen verdrehen kann. Die angeblich rechts-konservative Partei der Mitte geht derzeit am äußersten rechtsextremistischen Rand politisch hausieren und erfreut sich bereits guten Zulaufs von Neo-Nazis, Faschisten und Old-School-Militärdiktatur-Liebhabern.
Die Präsenz von Persönlichkeiten mit solchem politischen Background in Nea Demokratia - die von den meisten Leuten für eine "normale" rechtsgerichtete Partei gehalten wird -, ist ein beunruhigendes Zeichen dafür, dass es in Griechenland verzeihlich wird, rechtsextremistische, neonazistische, rassistische oder extrem nationalistische Ideen zu promoten.
Das Beunruhigende, Gefährliche an der griechischen Situation, so der Autor, sei die weitaus verschwommenere Trennlinie zwischen rechtskonservativem Mainstream einerseits und extremer Rechten andererseits, verglichen mit einer (noch?) relativen Trennschärfe in Ländern wie Frankreich oder Großbritannien.

Und er bringt auf den Punkt, wo die tatsächliche Gefahr des Extremismus in Griechenland zu suchen ist - vor aller Augen, im schützenden Windschatten des hochtourigen Getöses um ein angeblich linksradikales junges Pokerface:
Die wirkliche Radikalisierung, die sich in Griechenland zuträgt, ist inzwischen für jedermann sichtbar, und es ist eine Radikalisierung der Rechten, wo Individuen mit nostalgischen Junta-Sehnsüchten, die ultranationalistische Gefühle zum Ausdruck bringen und - mehr oder weniger - offen Elemente einer faschistischen Ideologie unterstützen, zurück in den politischen Mainstream geschleust werden, unter dem Deckmantel pro-europäischer Politiker.
Übrigens, nicht nur Syriza ist auf Erfolgskurs. Auch Nea Demokratia schiebt sich, neuesten Umfragen zufolge, in der Wählergunst immer weiter nach vorn - eine Radikalisierung, die seitens der Muppets mit dröhnendem Schweigen kommentiert wird, während sie die angeblich linksradikale Sau unter Gejohle durchs Dorf treiben.

Vielleicht sollte man ein bisschen mehr darauf achten, worüber nicht geredet wird.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen