Dienstag, 12. Juni 2012

Frei zum Abschuss



Eine Ladung frischgeschleuderten Morgendungs gefällig? Bitte sehr.

Stellen wir uns für einen Moment vor, es gäbe kein Griechenland. Nur für einen ganz kurzen Moment, denn länger wäre unerträglich. Unerträglich für die unter galoppierendem Realitätsverlust leidende Troika aus Politik, Finanzmärkten und Medien. Was, kein Griechenland mehr? Großer Gott! Wer in aller Welt könnte dann noch zum Prügelknaben gemacht werden, der alles, aber auch alles verbockt hat, was ein formidabler Sündenbock je verbocken kann?

Nicht auszudenken. Ich meine, mit irgend etwas muss ja die Zeit zwischen spanischer Bankenrettung (letztes Wochenende) und griechischen Wahlen (dieses Wochenende) vollgedüngt werden. Und was eignete sich dafür besser als eine Fuhre schmuddeligen Schmähdungs, gezielt geschmettert auf Europas Schmuddelkind Nummer eins, verkörpert durch den linken Schmuddelhippie Alexis Tsipras von der linken Schmuddelfront Syriza? Eben. Gib ihm. Hau drauf. Ist an allem schuld - während die Welt langsam, aber todsicher von denen kaputtgespart wird, die sich an ebendiesem Vorgang bereichern.

Bereits die Schlagzeile gibt die rhetorische Flugrichtung vor:
Griechenlands Krise spielte eine Schlüsselrolle bei Spaniens Ersuchen um ein Bailout
Den Buhmann ins Visier und die Schuldfrage in Anschlag genommen. Jetzt nur noch scharfstellen und dann abdrücken:
Allein schon die Möglichkeit eines Sieges für Anti-Bailout-Kräfte in Griechenland hat Spaniens Probleme von vorneherein verschlimmert, indem sie (nämlich besagte Möglichkeit) die Kreditkosten der (spanischen) Regierung in die Höhe getrieben und einen (spanischen) slow-motion Bankrun verursacht hat, der sein (Spaniens) Finanzsystem schwächte.
Wenn ich das richtig auf die Reihe kriege, verschlimmerte also die bloße Möglichkeit, griechische Wähler könnten eine linke Partei wählen, die Ausgangsposition Spaniens beim Verhandeln um ein Rettungspaket? Haben also die Griechen, noch bevor sie gewählt haben, Spanien zu höheren Kreditkosten gezwungen? Das nennt man Dung im Tiefflug.

Wobei in dem gesamten agitatorischen Dungpaket das Schmuddelkind kein einziges Mal beim Namen genannt wird. Weder von Syriza noch von Tsipras noch von einer - Achtung, gefährliches Schmuddelunwort! - linken Partei ist die Rede, sondern nur von anti-bailout-forces, was bereits nach kriegerischen, systemzersetzenden Streitkräften klingt, jedoch mühelos noch zu toppen ist mit - Achtung, Schuss! - "anti-bailout-agitators".

Genau. Linke Agitatoren der Welt, allen voran Syriza und Tsipras, vereinigt euch, stellt euch in die Ecke, geht euch was schämen und fühlt euch schuldig. Dafür, dass ihr bereits jetzt, fünf Tage vor der Wahl, diejenigen seid, die die Europäische Union zerstört haben.

Fotos: Timothy Fadek
originally published at Foreign Policy

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