Samstag, 21. Juli 2012

Sommermärchen, das dritte



Es begab sich aber im Sommer des Jahres 2012, dass der internationale Kapitalismus ein Großes Fest austrug, um sich selbst zu feiern. Alle Welt schaute und pilgerte nach London, um dabei zu sein. Großzügig, wie der Kapitalismus war, spendierte er alles, was zum Gelingen des Großen Festes nötig war, von den hochmodernen Sportanlagen über die komfortablen olympischen Dörfer, in denen die Athleten (überwiegend mit Migrationshintergrund) wohnten, bis hin zu den olympischen Slums, in denen die Putzkolonnen (überwiegend mit Migrationshintergrund) hausten.

Murray Sanders via The Sociologist

Damit den Kapitalismus das Ganze nicht allzu teuer kam, teilten sich die herbeigepilgerten Reinigungsfrauen und -männer zu zehnt je einen Slumcontainer und bezahlten pro Kopf und Tag einen bescheidenen Obulus von 18 £ Miete für ihre Unterkunft. Als Gegenleistung spendierte der Kapitalismus ihnen Toiletten (je eine Toilette für 25 Menschen) und Duschen (je eine Dusche für 75 Menschen), untersagte jedoch "aus Sicherheitsgründen" den Bewohnern des olympischen Slums Besucher aller Art sowie den Kontakt zur Presse.

Natürlich spendierte der Kapitalismus auch die reichhaltige Deko, die so einem Fest erst jene Größe verleiht, dass es zum Großen Fest des Kapitalismus gerät. Alle beim Großen Fest vertretenen Spendierhosen durften nach Herzenslust dekorieren, und auch der sportbegeisterte olympische Zuschauer durfte mitdekorieren, solange er auf seiner Hose das richtige Spendier-Logo trug. Andernfalls - es war an alles gedacht worden - wurde schwarzes Tape und graues Farbspray zur Verfügung gestellt, um unerwünschte, unspendable Markenlogos auf Kleidern und Schuhen unkenntlich zu machen.

Bei Zuwiderhandlung, entschied der Kapitalismus, erfolge Platzverweis, da nütze es dem gegen die Markengesetze Verstoßenden auch nichts, lumpige 600 £ für die Eintrittskarte zum Großen Fest gezahlt zu haben. Wer spendiert, der herrscht - so laute die unumstößliche kapitalistische Regel nun mal, an die sich bitte alle zu halten hätten; denn was wäre ein Großes Fest ohne ein faires Regelwerk? Weshalb am eklatant unfairen Verhalten eines Pilgers ein Exempel statuiert werden musste: Ein Katzenliebhaber, dessen Haustier auf den Namen 'Pepsi' hört, wollte gerade auf der Tribüne Platz nehmen, als die olympische Gestapo gewahr wurde, dass er ein T-Shirt mit dem Aufdruck 'I love Pepsi' trug. Er wurde ohne viel Aufhebens von der Tribüne entfernt, denn Markenrechte müssen gesichert werden.

Wie sehr dem Kapitalismus das Thema Sicherheit am Herzen liegt, lässt sich an seinem verantwortungsvollen Umgang mit den Sicherheitskräften ablesen. Aus Sicherheitsgründen legte er den beim Großen Fest diensthabenden Polizisten nahe, mitgeführte Snacks - Chips, Schokoriegel oder ähnliches - aus ihrer Verpackung zu entfernen und in neutrale Klarsichttüten umzufüllen. Natürlich nur dann, wenn die Chips und Schokoriegel in einer von den Spendierkapitalisten unerwünschten, weil von einem unspendablen Markenhersteller stammenden Verpackung ins Innere des Großen Festes geschleust werden sollten:
Die Anweisung erfolgte auf höchster Ebene und gründet sich auf die Richtlinien der Organisatoren der Londoner Spiele. Sie dient dem Schutz der Werbung der offiziellen Sponsoren, zu denen Coca Cola, Cadbury's und McDonalds gehören. Da die Spiele weltweit im Fernsehen übertragen würden, hat die Führungsspitze ein Verbot jeglicher Werbung für Firmen erteilt, die keine Millionen an Sponsorengeldern herausgerückt haben. Das Londoner Olympische Komitee erließ eine Anweisung an alle Kräfte, die zur Aufrechterhaltung von Sicherheit, Recht und Ordnung im Rahmen der Spiele fungieren, sich an den Befehl zu halten.
Nachdem nunmehr Sicherheit, Recht, Ordnung sowie systemischer Realitätsverlust in guten Händen und vom Kapitalismus gewährleistet sind, kann es am morgigen Sonntag endlich störungsfrei losgehen mit dem Großen Fest.

Dieses paranoide kleine Sommermärchen wurde Ihnen präsentiert von den Olympischen Spielen™, London 2012™ und der Erbengemeinschaft Mussolini™. Letzterer bewies vor langer Zeit hellsichtiges Denken, als es um die Definition totalitärer Systeme ging; besonders der staatlich-autoritäre Korporatismus hatte es ihm angetan.
Faschismus sollte richtiger Korporatismus heißen, weil es sich um eine perfekte Verschmelzung von Staats- und Unternehmensgewalt handelt.
Benito Mussolini, 1883-1945

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