Samstag, 29. September 2012

Wiederbelebungsversuch


Livestreaming vom heutigen Abend in Madrid:

icbcn on livestream.com. Broadcast Live Free

Empfehlenswert und wohltuend für alle, die unter einem üblen Hangover leiden, weil sie sich heute auf einer der unsäglichen deutschen, unsäglich deutschen "umFAIRteilen!"-Demos in Lebensgefahr begeben und dort möglicherweise zu Tode gelangweilt haben.

Selten so etwas Unlebendiges erlebt, so viel zwänglerisch ge- und von oben verordnete, verschubladisierte, verscheuklappte, Sprechblasen-klopfende, Schablonen-produzierende, wichtigtuerische und jegliche Spontaneität abtötende Selbstbeweihräucherung.


Und Fahnen. Nichts als Fahnen. Fahnen, so weit das Auge reicht. Aus dem gewerkschaftlichen Lautsprecherwagen dröhnte Abba, zwecks Stimulierung der Massen. Waterloo, my ass. Worum ging es? "Wir fordern faires Umverteilen." Von wem? Keine Ahnung. Wir? Ich nicht.

Nach einer halben Sunde trat ich die geordnete Fahnenflucht an und ging das größte Eis meines Lebens essen. Kluge lebensrettende Maßnahme. Madrid, du hast es besser.

Freitag, 28. September 2012

Lasst sie doch auf den Strich gehen


Sex sells. Der Tod nicht minder. Sterben müssen wir alle, und der Sexualtrieb ist ja auch so eine Art biologischer Konstante. Kommt ja keiner dagegen an. Und um sich die unabdingbare Nähe von Todes- und Sexualtrieb einzugestehen, muss einer kein Freudianer sein. Fußballer reicht.

Wenn der Pleitegeier kreist, darf man nicht wählerisch sein, dachten sich zwei quasi-bankrotte Fußballklubs in Griechenland. Denn wer zahlt, hat schließlich recht, jedenfalls das Recht des Sponsoren, sich auf den Trikots per Werbelogo zu verewigen. Künftig wird eine der beiden maroden Mannschaften dem finanziellen Tod von der Schippe springen, indem sie als Werbeträger für ein lokales Bestattungsunternehmen über den Platz rennt (pink auf schwarz); dem anderen Team wird von einem Bordellbetrieb auf die schwachen Beine geholfen (grün auf pink).

Man mag sich die dramatischen Szenen gar nicht ausmalen, wenn demnächst die Todes- gegen die Sexmannschaft antreten sollte. Und letztere von der gegnerischen Truppe ein Tor nach dem anderen kassiert, bevor sie selbst auch nur ein einziges Mal zum Zug oder sonstwie zum Höhepunkt gekommen ist. Kampf um Leben und Tod.

"Unser Überleben steht auf dem Spiel," sagte der eine Fußballklub, bevor er bei dem Leichenentsorgungsinstitut unterzeichnete. "Wir machen das aus rein wirtschaftlichen Gründen," beteuerte der andere Verein, nachdem er sich mit dem Bordellbetrieb ins Bett gelegt hatte. Ja, aus was für Gründen denn sonst?

Sich prostituieren um zu überleben. In Griechenland, ist zu hören, boomt das Geschäft mit dem käuflichen Sex:
Während im Zuge der alles vernichtenden wirtschaftlichen Krise Griechenlands und der brutalen Sparmaßnahmen sich immer mehr Menschen fragen, was sie am nächsten Tag essen sollen, ist die Zahl der Menschen, die sexuelle Dienstleistungen verkaufen, in zwei Jahren um 150 Prozent gestiegen.
Immer mehr junge Frauen und Männer
...arbeiten als Prostituierte, um der Armut zu entkommen. Hinzu kommen Langzeitarbeitslosigkeit, Drogengebrauch und sozialer Ausschluss. Prostitution in Griechenland, besonders in Athen, ist völlig außer Kontrolle.
Die vielgepriesene Austeritätsdoktrin zeigt ihr wahres Gesicht. Ihr menschliches, unmenschliches Gesicht. Sich prostituieren um zu überleben. Aus rein wirtschaftlichen Gründen.

Derweil gefällt sich die Troika (EU, EZB, IMF) in der Rolle des Zuhälters.

Spanier auf der Straße


Auf dem Weg zur Arbeit?


Auf dem Weg zum Arbeitsamt (oficina de empleo)?


Spanier auf der Straße.

Donnerstag, 27. September 2012

Antisystemgastronomie


Solidarität heißt Stellung beziehen.


Solidarität heißt aus der Sicherheitszone heraustreten.


Solidarität heißt Risiko auf sich nehmen.


Solidarität ist das Gegenteil von Sichraushalten.


Solidarität ist körperlich, mutig, unmissverständlich.

Während des massiv gewalttätigen Polizeieinsatzes am 25. September 2012 hat ein Kneipenbesitzer in Madrid unmissverständlich Stellung bezogen. Er hatte die Prügelszenen beobachtet - "ich habe gesehen, wie am Neptunbrunnen ein Junge von der Polizei zusammengeschlagen wurde, er hat geblutet und ich wollte ihm helfen" - und kurzerhand sein Lokal zum Asyl für fliehende Demonstranten umfunktioniert. "Dann stellte ich mich an den Eingang des Restaurants und hinderte die Polizei am Reinkommen", und nachdem die Fronten geklärt waren, gab er den Geflohenen etwas zu essen und zu trinken.

Meine Hochachtung.

Bildquelle:
reddit, Eco Diario (mit Bildergalerie, Video und Interview mit dem Kneipier Alberto Casillas)

Dienstag, 25. September 2012

Kein Fehltritt


Und jetzt eine kleine Gutenachtgeschichte aus 1001 Nacht:

Es begab sich auf einer Straße in der nordiranischen Provinz Semnan, dass ein geistlicher Tugendwächter einer Frau begegnete, die er für "unzureichend verschleiert" hielt. Statt sich um seinen eigenen Kram zu kümmern, beging er den Fehler, die fremde Frau ob ihres - in seinen Augen - verlotterten Outfits zu verwarnen. Schließlich sei es, wie er später zu Protokoll gab, "seine religiöse Pflicht, das Richtige zu befehlen und das Falsche zu verbieten".

Dass er damit an die Falsche geraten war, hätte ihm spätestens dämmern müssen, als die Frau ihm das einzig Richtige entgegnete: Er solle gefälligst weggucken und seine Augen bedecken statt an ihrer Körperbedeckung rumzumeckern. Jedoch - wie Moralapostel nun mal so sind - der klerikale Tugendbold fühlte sich im absolutistischen Recht und wiederholte seine Warnung. Da wurde es der Frau zu dumm und sie verpasste ihm ein paar ordentliche Tritte.

Wohin sie den frommen Mann getreten hat, geht aus dem Bericht nicht hervor. Allerdings sei er von der Wucht ihrer Tritte hinterrücks auf den Boden gefallen, erzählt empört der Getretene; man kann es sich also denken. Drei Tage Krankenhaus. Wieso die freche Frevlerin noch auf freiem Fuß ist, geht aus dem Bericht nicht hervor. Man kann es sich aber denken: Trotz Lotter-Burka dürfte sie genügend Textilmassen am Leib getragen haben, was eine Identifizierung naturgemäß erschwert. So hat halt alles seine Vor- und Nachteile.
(via BoingBoing)

Hijab Lady

Samstag, 22. September 2012

Blühende Landschaften



Frankfurt, Stadtteil Ostend. Anlässlich des Richtfestes für den im Bau befindlichen EZB-Tempel freut sich die Stadt mitteilen zu können, dass dem Aufstieg Frankfurts als prestigeträchtiger internationaler "Global City" nichts mehr im Wege steht. Erst recht keine traditionell gewachsenen, ehemaligen Arbeiterviertel wie das Ostend, das inzwischen zur zweitteuersten Wohnlage Frankfurts avanciert ist.

Durch die Schaffung hochwertigen Wohn- und Büroraumes für die Ansiedlung globaler Finanzdienstleistungen und damit verbundener einkommensstarker Haushalte, so die Stadt, sei es gelungen, die einkommensschwachen und daher als verzichtbar geltenden Bevölkerungsteile aus dem Stadtteil zu verdrängen.


Dies, so die Stadt weiter, sei eine alternativlose Auswirkung des EZB-Neubaus, in dessen Schatten immer mehr Luxuswohnanlagen entstehen und in dessen ebenfalls neu gestaltetem Umfeld samt gehobener Infrastruktur ressourcenschwache Elemente nur ungern gesehen würden. An der zügigen Durchgentrifizierung eines ehemals bezahlbaren Stadtteils führe daher kein Weg vorbei.

Frankfurt habe nämlich den Ehrgeiz, sich - unter städtebaulichem Gesichtspunkt - weltweit mit Finanzdienstleistungsmetropolen wie New York, London und Tokio zu messen. Der Rest - also der Rest der noch verbliebenen urbanen Bevölkerung - sei im Rahmen der ambitionierten Stadtplanung ein zu vernachlässigender Faktor.


Sollte es sich bei dieser Restbevölkerung um marginalisierte Bevölkerungsschichten handeln, spreche nichts dagegen, diese konsequent weiter zu marginalisieren und in wohnghetto-artige Stadtrandgebiete auszulagern. Ein boomender Wohn- und Immobilienmarkt und die damit verbundenen Rendite-Erwartungen fordere nun mal seinen Preis. Außerdem gelte nach wie vor das Diktum der ehemaligen Oberbürgermeisterin Petra Roth, jeder Bürger habe das "demokratische Recht, woanders hinzuziehen", wenn es ihm am einmal gewählten Wohnort nicht mehr passe (egal aus welchen Gründen).


Erfreulicherweise, hieß es weiter, zögen bei dem Projekt "Global City" (auch: "unternehmerische Stadt" oder Neoliberalisierung des städtischen Raumes) alle am gleichen Strick: Planungsamt, Bauaufsicht und Magistrat (schwarz-grün) äußerten Genugtuung über das völlige Fehlen einer ernstzunehmenden Opposition.

Um letzteres zu illustrieren, betonte unlängst eine Kommunalpolitikerin (SPD), "Wir beobachten diese Tendenzen mit Besorgnis" und fügte hinzu, zu mehr als dem Artikulieren von tendentieller Besorgnis habe es bisher leider nicht gereicht, was jedoch für eine sozialdemokratische Partei bereits einer heroischen Kampfansage gleichkomme.


Keineswegs übertrieben hat Jörg Asmussen, Mitglied des EZB-Direktoriums, als er in seiner Richtfest-Begrüßungsansprache darauf hinwies: "Von meinem Büro im Eurotower konnte ich mitverfolgen, wie die EZB-Türme im Frankfurter Osten langsam in die Höhe wuchsen. Mittlerweile kann man sie von vielen Orten innerhalb und sogar außerhalb der Stadt sehen." Ja, sogar weit außerhalb der Stadt, beispielsweise von wohnghetto-artigen Randlagen aus, ist das "neue und einzigartige Wahrzeichen" mit bloßem Auge zu erkennen.

Ob er allerdings die dorthin abgeschobene frühere Ostend-Nachbarschaft meinte, als er hinzufügte, er freue sich anlässlich des "Umzuges ins Ostend, der neuen Nachbarschaft der EZB wieder einen Schritt nähergekommen zu sein", darf bezweifelt werden. Dennoch hoffe er, "dass die Menschen hier in Frankfurt unseren Neubau als Bereicherung der Frankfurter Skyline und der europäischen Landschaft ansehen". Schließlich kennzeichne es die zeitgenössische europäische Landschaft, dass selbst verarmte Bevölkerungsschichten einen bereichernden Blick auf die Frankfurter Skyline werfen könnten.


Denn, so fuhr er fort, Austerität schaffe nun mal neue Perspektiven. Wie nachhaltig sich die EZB selbst dem Austeritätsprinzip verpflichtet fühle, brachte Asmussen zum Ausdruck, als er erwähnte: "Als öffentliche Einrichtung sind wir dazu verpflichtet, verantwortungsvoll mit unseren Ressourcen umzugehen," womit natürlich keine menschlichen Stadtteil-Ressourcen gemeint waren, sondern öffentliche Baukosten.

Die, so Asmussen, seien aufgrund "einiger unvorhergesehener Herausforderungen" in die Höhe geschnellt, allerdings nicht etwa unverantwortlich, sondern verantwortungsvoll, seien also budget-disziplinär zu verantworten; weshalb die gesamten Investitionskosten von ursprünglich 850 Millionen Euro um den peanuts-kompatiblen Betrag von weiteren 200 Millionen Euro aufgestockt werden müssten.

Immerhin, betonte Asmussen, liege das ehrgeizige EZB-Neubauprojekt mit seinen nunmehr 1,2 Milliarden Euro Gesamtkosten höchstens bei der Hälfte jener von der griechischen Regierung noch zu tätigenden Budgetkürzungen, um ein der EZB (im Rahmen der Troika) gefälliges Austeritätspaket zu schnüren. Weil, von nichts komme nun mal nichts, weder Kredite noch Bondkäufe, wie Asmussen mit einem launigen Seitenblick auf Spanien anmerkte.


Mit seinen verantwortungsvollen Sparbemühungen, schloss das Direktoriumsmitglied, wolle die EZB im Frankfurter Ostend als leuchtendes Beispiel in der verarmenden, weil verantwortungsvoll kaputtgesparten europäischen Landschaft vorangehen. Wem das nicht passe, der könne gern von seinem demokratischen Recht Gebrauch machen, also woanders hinziehen oder Europa verlassen oder - im Falle Frankfurts - halt die SPD wählen.

Er vergaß zu erwähnen, dass zu den demokratischen Rechten auch das Recht auf Widerstand gehört. Gottlob ist eine wachsende Zahl von Frankfurtern sich dieses Rechts bewusst und wird keinesfalls vergessen, das EZB-Direktorium, das Planungsamt, die Bauaufsicht, den schwarz-grünen Magistrat und die in Besorgnis verharrende SPD daran zu erinnern. Weil, von nichts kommt nichts, auch kein Widerstand. Aber wo was ist, da blüht er, der Widerstand.
Demnächst in diesen blühenden Landschaften.

Donnerstag, 20. September 2012

Immer schön flexibel bleiben


Glaubt ja keiner, wie mich dieser "innovative" Blogspot-Pferdemist nervt. Habe ich irgend jemanden darum gebeten? Nein. Habe ich mich über die fehlende "Flexibilität" des alten Systems beklagt? Nein. Gefällt mir die neue "Flexibilität"? Nein. Warum nicht? Weil sie mich zwingt, geschätzt 87 mal mehr als früher hin und her zu klicken und elastisch rumzudaddeln und "neue Features" zu entdecken, nach denen ich nicht gesucht habe. Hey, ihr Zwangsbeglücker von Blogger, ich möchte bitte so unflexibel sein, wie es mir, und nicht so flexibel, wie es euch in den Kram passt, klar? Nein, nicht klar. Dazu sind sie nicht flexibel genug, die Innovationsfetischisten von Blogger. Die sind nicht mal so flexibel, mir meine Unflexibilität zu lassen, indem sie mir eine flexible Zugriffsoption auf die alte bewährte Benutzeroberfläche gewährleisten. Nix da. Seit heute früh ist "innovative Flexibilität" ein Muss, wo jeder mitmuss. Derweil fliegen unter der ungeschmeidigen neuen Benutzeroberfläche, nämlich im systemkritischen Twitter-Blogger-Untergrund, die Fetzen. Muss die Macher an der Oberfläche aber nicht weiter jucken. System change is a bitch, da musst du durch, ob du willst oder nicht. Bitches. Ende.

Nur mal so als Frage




Ich weiß nicht. Mich verstört es zutiefst, im Jahr 2012 solche Zeitschriftentitel zu sehen. Solche Fragen, von Journalisten gestellt, zu lesen. Vor allem solche Antworten auf solche Fragen zu lesen:

Weil, man kann ja über den Faschismus sagen, was man will, bitte, gern auch gegen den Faschismus, selbstverständlich, aber eins muss man ihm doch lassen, bitte, immerhin hat der Faschismus die Arbeitslosigkeit in den Griff bekommen, oder? Wird man ja wohl noch sagen dürfen. Muss sich also keine Regierung der Welt schämen, sich aufs Innigste mit Kapitalinteressen ins Bett zu legen.
Faschismus sollte richtiger Korporatismus heißen, weil es sich um eine perfekte Verschmelzung von Staats- und Unternehmensgewalt handelt.
Benito Mussolini, 1883-1945

Das propagandistische Sperrfeuer schreitet voran, vom Befeuern des in sich widersprüchlichen "Freier Markt"-Paradigmas hin zu einem Befürworten von brutalem Autoritarismus als Heilmittel für dessen Versagen.
naked capitalism
Ich weiß nicht. Selbst mit hartgesottenstem Zynismus weiß ich mir nicht zu helfen. Es verstört mich einfach. Zutiefst, wie gesagt.

Update:
Asche auf mein Haupt. Soeben lese ich, dass ich einer Parodie ("spoof") aufgesessen bin; einem gefaketen Titelbild, das mich so sehr an die Realität erinnert hat, dass ich es mit letzterer verwechselt habe. Also eine überaus gelungene Parodie, weshalb es mir schwer fällt mich zu schämen, dass ich ihr auf den Leim gegangen bin.

Sonntag, 16. September 2012

Was zum Teufel?


Es ist ja dieser Tage viel die Rede von religiösem Fanatismus; sowie von Menschen, die - infolge verpasster Aufklärung - in mittelalterlich anmutenden Denkstrukturen steckenbleiben, frömmelnder Irrationalität zum Opfer fallen und aus der obsessiven Haut ihrer Intoleranz nicht rauskönnen. Die aus der Mücke ihrer Verletztheit einen Elefanten aus Ärger, Wut und wüsten Drohungen machen. Die lauthals herumbrüllen und sich so maßlos wie unverständlich aufregen über das, was andernorts unter Freiheit der Meinung und der Kunst der Parodie verstanden wird.

Wenig indes ist die Rede von der Kunst des exzessiven Dronen-Einsatzes, der Freiheit präsidentialer kill lists und der kollateralen Tötung von Zivilpersonen; noch weniger von dem Ärger, der Wut und der Verletztheit genau darüber. Aber das nur am Rande.

Vor lauter medialer Aufgeregtheit über jene unverständliche, maßlose Aufregung in fernen Ländern, die so mittelalterlich-irrational-obsessiv ticken, sind Nachrichten über mittelalterliche Obsessionen im nahen Hinterland völlig ins Hintertreffen geraten. Das ist schade, lehrt doch ein Blick in das zivilisierte, christliche Nachbarland Polen, dass religiös obsessives Gedankengut wieder schwer im Kommen ist. Und wenn das ehemals kommunistische Polen vom Kapitalismus eines gelernt hat, dann dies: Wo etwas im Kommen ist, da ist ein Markt, und wo ein Markt ist, lässt sich ein Geschäft machen.

In Polen, so ist zu erfahren, boomt der Exorzismus. Was liegt näher, als die steigende Nachfrage nach der Teufelsaustreiberei zu kommerzialisieren?
Infolge des boomenden Exorzismus in Polen haben sich römisch-katholische Priester mit einem Verleger zusammengetan, um die - wie sie es nennen - weltweit erste Monatszeitschrift herauszubringen, deren thematischer Schwerpunkt exklusiv auf der Austreibung des Teufels liegt.
Anlässlich des Magazin-Launches vor wenigen Tagen erklärte Pater Aleksander Posacki - Professor für Philosophie und Theologie sowie Dämonologe und Mitglied eines internationalen Expertenteam römisch-katholischer Exorzisten -, die sprunghaft gestiegene Anzahl aktiver polnischer Exorzisten "innerhalb der letzten 15 Jahre spreche für sich": Wo so viele Teufelsaustreiber walten, muss es viel Teuflisches auszutreiben geben.


Natürlich wurde der international anerkannte Exorzismusexperte gefragt, wie er sich diesen rasanten Anstieg teuflischer Besessenheit in der Bevölkerung erklären könne. Um eine säkular-aufgeklärte Antwort nicht verlegen, nannte Posacki als Ursache den "Systemwechsel": Der Kapitalismus macht's möglich. Und zwar nicht etwa der im kapitalistischen Detail steckende Teufel, der schon manchen zum Wahnsinn getrieben hat; vielmehr der kapitalistische freie Markt, der endlich den Teufel samt der von ihm Besessenen aus den Klauen des atheistischen Kommunismus befreit und ihn/sie einer segensreichen Vermarktung zugeführt hat:
"Indirekt verdanken wir das dem Systemwechsel: Der Kapitalismus schafft mehr Chancen zum Geschäftemachen im Bereich des Okkultismus. Wenn sich mit ihm Geld verdienen lässt, wächst er natürlich," sagte Posacki,
beeilte sich jedoch hinzuzufügen, dass "authentischer Exorzismus absolut gebührenfrei" zu haben sei. Sage also keiner, der freie Markt der Seelsorge ziehe seine vom Bösen besessenen Schäfchen über Gebühr über den Tisch. Was nicht ist, kann ja noch werden, nichts ist unmöglich im kapitalistischen System. Immerhin gibt es in Warschau bereits drei Monate lange Wartelisten bei dort tätigen Exorzisten ("Wir haben alle Hände voll zu tun," reibt sich ein polnischer Austreiberkollege die Hände).

Satanische Besessenheit, so Posacki, sei "das Resultat, wenn jemand Böses begehe: Stehlen, Töten oder andere Sünden" - wer jetzt an übergriffige Invasionen in erdölreiche Länder denkt, ist völlig schief gewickelt - und ergänzte, das professionelle Austreiben böser Geister folge einem von Papst Johannes Paul II im Jahr 1999 anerkannten Handbuch ritueller Gebete. In der Erstausgabe der Exorzistengazette ist von einem "spirituellen Staubsauger" die Rede.

Noch ist unklar, ob es künftig im Inneren des neuen Magazins ein doppelseitiges, herausnehmbares Star-Poster - 'heißestes Exorzismus-Model des Monats' oder so - geben wird; denkbar wäre auch eine von satanischen Textilien befreite Modestrecke ('Wie ziehe ich mich für eine zünftige Exorzisten-Dinnerparty an?') oder ein paar Peitschenhiebe gratis bei Erst-Abo.

Fast könnte man - angesichts solcher mittelalterlich anmutender, dabei kapitalismuskompatibler Denkstrukturen - lauthals herumbrüllen, sich maßlos aufregen und seinem Ärger und seiner Wut Luft machen; wenn es sein muss, mit wüsten Drohungen. Es sei aber dringend davon abgeraten. Denn wer solcherart aus der Haut seiner Toleranz fährt, macht sich verdächtig -
"Besessenheit vom Teufel manifestiert sich in Form von Schreien, Brüllen, Ärger, Wut und Drohungen," sagte Posacki.
- kann also, erstens, nur ein von katholischen Priestern in seiner Jugend missbrauchter (und darum vom Bösen besessenen) Ministrant oder, zweitens, ein kritikfähiger (und darum per se vom Bösen besessener) Mensch oder, drittens, ein protestierender, andersgläubiger (und darum das Böse schlechthin verkörpernder) Bewohner eines fernen, erdölreichen Landes sein.

Dienstag, 11. September 2012

Schrödern auf Französisch


Na, das sind doch mal Nägel mit Köpfen:

"Francois Hollande:
Gestatten? Gerhard II."

Der sozialistische Staatspräsident Frankreichs, Francois Hollande, in Gerhard Schröders sozialdemokratischen Fußstapfen. Mit einem sozialistischen* Spar- und Reformprogramm, das unter dem vorbildlichen Namen "Agenda 2014" zeigt, wo der Hammer hängt.

Nägel mit Köpfen, wie gesagt.

*(?)

Armut, reloaded



Damit das mal klar ist:

Eure Armut kotzt uns nicht an.
Im Gegenteil.
Wir lieben sie.
Sie rückt uns noch besser ins Bild.


(Foto-Shooting im Anschluss an eine Kollektionsshow während der New York fashion week)

Montag, 10. September 2012

Strafanstalt Europa


Wie das halt so ist in Familien: Da gibt es liebe Kinder und böse Kinder. Brave, gehorsame, gefügige Kinder und schwierige, ungebärdige, kaum zu bändigende Kinder.

Während die lieben Kinder artig ihre Hausaufgaben machen, schlagen die bösen Kinder über die Stränge. Letztere bedürfen der harten Hand. Denn wenn die bösen Kinder nicht hart bestraft werden, könnten die lieben Kinder plötzlich auf dumme Gedanken kommen.


So war das schon immer, seit es eine schwarze Pädagogik gibt. Darum spricht die schwarze Pädagogik auch so gern von schwarzen Schafen.

Und weil die schwarze Pädagogik so erfolgreich war im Heranzüchten kriecherischer Untertanen (also dessen, was vor Urzeiten mal als autoritärer Charakter bezeichnet wurde; welchen gefälligen Wort-Remix gibt es dafür eigentlich heutzutage?), bedient sich die EU-Elite inzwischen gern der schwarzpädagogischen Rhetorik. Schön von oben herablassend, gönnerhaft zwischen Zuckerbrot und Peitsche changierend, die autoritär-omnipotente Vaterfigur gebend.


In einem aktuellen Interview vergleicht der Generalsekretär der OECD José Ángel Gurría krisengeschüttelte südeuropäische Länder mit "ungezogenen Kindern". Selbstredend nicht alle südeuropäischen Länder, sondern nur die bösen, die aus der Art schlagenden. Die lieben Kinder sollten zur Belohnung dafür, dass sie "ihre Hausaufgaben brav gemacht" und ihre "Kinderzimmer hübsch aufgeräumt" haben, aus EZB-Draghis Bond-Einkaufswundertüte reich beschenkt werden. Die bösen Kinder hingegen, die mit den versaustallten Räuberhöhlen und vernachlässigten Hausaufgaben, die sollten mit schlechtem Beispiel voran- und damit leer ausgehen.


Weil, Strafe muss sein. Anders kriegt man diese missratenen Gören nicht zur Räson. Disziplinierung heißt das scharzmagische Zauberwort. Zucht und Ordnung. Und wenn alles finanzpolitische Gepeitsche nichts nützt, wird halt die Prügelstrafe wieder eingeführt. Es ist nämlich so: Solange ihr nichtsnutzigen Plagen eure ungewaschenen Füße unter unseren Euro-Tisch baumeln lasst, wird nach unserer Pfeife undsoweiterundsofort ... ist das klar?


Auf Wiedervorlage


"Präsident Obama hat vor vier Jahren eine zutiefst beschädigte Wirtschaft übernommen ..."
Bill Clinton
ehemaliger US-Präsident
in seiner Rede während der Democratic National Convention
5.9.2012

"... und falls er (Obama) wieder gewählt werden sollte, wird er eine noch viel tiefer beschädigte Wirtschaft übernehmen."
Jay Leno
amerikanischer Comedian
Moderator der Tonight Show,
7.9.2012

"Wenn man mal außer Acht lässt, wie Obama sich die progressiven Kräfte einverleibt hat zur Unterstützung seines Bush-ähnlichen Regierungsstils, dann scheint es ein Kinderspiel zu sein, sie für weitere vier Jahre desselben Stils zu mobilisieren."
"Nun, das versteht man unter Hoffnung! Gewissermaßen."

Freitag, 7. September 2012

Zur Sonne


Was tun, wenn eine politische Partei im freien Fall nach unten ist? Erst mal nachschauen, wie tief sie gefallen ist. Also, von welcher Höhe in welche Tiefe.

Das ist im vorliegenden freien Fall der griechischen PASOK - einer Partei, die sich ungeniert sozialistisch nennt und dabei stramm kapitalistisch agiert - eine Fallgeschwindigkeit von fast 50 Prozent, bezogen auf einen Zeitraum von gut zwei Monaten: von bereits lausigen 12 Prozent (Parlamentswahlen am 17. Juni) auf unterirdische 7,5 Prozent (6. September). Mit anderen Worten, die Partei fällt schneller in den Abgrund als ein nasser Zementsack.

Zeit zur Einkehr, zur Besinnung, zur Reflektion. Was tun? Für eine stramm kapitalistisch agierende Partei kann das nur heißen: ein Markenrelaunch mit auffrischender Imagepolitur, und darum - logo - muss ein neues Logo her:


Die neu gestylte Parteisonne leuchtet symbolstark in frühlingsfrischem Grün; dafür hat sie zwei ihrer Strahlen verloren (jetzt sieben statt früher neun) - vermutlich symbolischer Ausdruck für den Verlust an Strahlkraft, den die Partei nicht erlitten, sondern durch ihre Politik selbst verursacht hat: Sie dümpelte nach den Wahlen nur noch als drittstärkste Partei in den Niederungen der Wählerungunst und ist seit ein paar Tagen weiter abgesackt auf Platz vier; also ein in frischem Grün kolorierter Sonnenuntergang.

In launigen Worten halluzinierte Parteichef Venizelos bei der Enthüllung des neuen Parteilogos, bei "unserer Sonne" handele es sich um "das Universum unserer progressiven Werte", deren Anzahl auf magische Weise von neun auf sieben progressiv geschrumpft wurden, was sich möglicherweise abbildet in den schrumpfenden Sympathien für eine neoliberalistisch verstrahlte sozialistische Partei (die sich der Forderung nach einer Sechstagewoche bei gleichzeitigen Lohn- und Rentenkürzungen unterwirft) und die Frage aufwirft, wie zugedröhnt eine Partei sein muss, dass ihr, mitten im freien Fall befindlich, nichts anderes als ein neues strahlenreduziertes Logo einfällt.


War noch was? Ach ja, wie erwähnt ist PASOK auf Platz vier in der Parteienpositionierung abgestunken, weil es ihr - so wie allen anderen Parteien in Griechenland - nicht gelingt, gegen die erfolgreiche faschistische Neonazi-Partei Golden Dawn anzustinken (das sind die mit dem Hitlergruß und den Hetzjagden auf Ausländer). Die "goldene Morgenröte" hat in den letzten zwei Monaten einen steilen Sonnenaufgang hingelegt von 6,9 Prozent (17. Juni) auf 9,5 Prozent (6. September) und sich damit zur - demoskopisch gesehen - drittstärksten Partei gemausert.

War noch was? Eigentlich nicht, bis auf diese Grafik, die eine Korrelation zeigt zwischen dem Ansteigen von Arbeitslosigkeit und dem Ansteigen der Wählerstimmen für eine Nazi-Partei:

(zum Vergrößern auf Link klicken)

War sonst noch was? Ach so, bevor ich's vergesse: Die Arbeitslosigkeit in Griechenland ist im Verlauf nur eines Monats (Mai bis Juni 2012) um fast ein Prozent angestiegen (von 23,5 auf 24,4 Prozent).

Aber sonst war nichts. Absolut nichts.


Mittwoch, 5. September 2012

Machen Sie sich mal frei


Endlich wird Klartext gesprochen. Endlich kommt Licht in die umwölkte Rhetorik moderner Zeiten und freier Märkte, namentlich deren "Kräfte", die die gefesselten Märkte von ihren Ketten befreien wollen.

Was wir schon immer wussten, uns aber nicht laut zu sagen getraut hätten - es fliegt einem sonst ja sofort die ganz große Verschwörungskeule an den denkenden Kopf -, entlarvt sich als systematisch durchdachter Plan, der entlarvt wird von keinen Geringeren als den Planern höchstselbst. Von denen, die Großes mit Europa im Sinn haben. Denen, die es viel zu schade fänden, eine von ihnen selbst fabrizierte Krise ungenutzt verstreichen zu lassen. Europa? Da geht noch was. War doch in der sogenannten Dritten Welt genauso. Hat doch funktioniert. Warum also nicht Europa mit einem gut abgehangenen Dritte-Welt-Feeling beglücken?

Ab sofort kann keiner mehr behaupten, er habe nichts gewusst, wenn von den freien Kräften des Marktes über Wettbewerbsfähigkeit™, Flexibilisierung™ und Reformen™ (gern auch: strukturelle™ oder Arbeitsmarktreformen™) deliriert wurde. Die freien Kräfte sind jetzt so frei, die Dinge ungeschminkt beim Namen zu nennen; das Mikromanagement der Troika zur Verwüstung, Verarmung und Versklavung der europäischen Peripherie liegt auf dem Tisch:
  • Die Arbeitstage pro Woche werden von fünf auf sechs erhöht - wieso eigentlich nicht gleich auf sieben?
  • Elf Stunden Freizeit pro Arbeitstag genügen vollauf zur Wiederherstellung der Arbeitskraft - der 13-Stunden-Arbeitstag rückt in greifbare Nähe
  • Keine zeitlichen Beschränkungen zwischen Früh- und Spätschichten - keine Atempause, wir bleiben dran
  • Verkürzte Kündigungsfristen - Rausschmiss jederzeit möglich
Gut, die freien Kräfte haben jetzt nicht wortwörtlich gesagt, dass Arbeit frei macht. Immerhin lassen sie den Arbeitenden noch einen Tag in der Woche frei, bitte, sie hätten ja auch gleich eine 7-Tage-Woche fordern können. Wobei dem Einfallsreichtum der freien Kräfte - sind sie erst einmal entfesselt und so richtig in Fahrt, ist die Krise erst einmal entfesselt und nimmt so richtig Fahrt auf - keine Fesseln, hm, Grenzen auferlegt sind. Weil, da geht doch noch was: Demnächst wird acht Tage die Woche geschuftet. Nach Plan.

Dienstag, 4. September 2012

Geschichten für Groß und Klein


Für Groß:
(kurz und bündig*)
"Was scheren mich die Armen? Schließlich gibt es für die ein Sicherheitsnetz. ... Jetzt erzähle ich euch mal meine Geschichte: Ich bin auch arbeitslos!"
(langatmig**)
"(Mein Wirtschaftsplan, um die Mittelschicht zu beflügeln, ist,) dass ich mein Bestes tun werde, indem ich eine Geschichte während des Wahlkampfes erzähle: Diese Geschichte werde ich stets aufs neue erzählen, falls ich genug Glück habe, eine zweite Amtszeit zu bekommen. So werde ich sichergehen, dass die Leute verstehen, dass mein Fokus auf dem Wachstum unserer Wirtschaft liegt, indem ich hinreichend versichere, dass wir die besten Arbeiter der ganzen Welt haben, die beste Technologie der Welt und dass wir wettbewerbsfähig sind für das 21. Jahrhundert."

Für Klein:

"Erzählt uns keine Geschichten!"


* (Mitt Romney 2011 in einer Wahlkampfrede an arbeitslose Menschen in Florida)
** (Barack Obama am 30. August 2012 in einem Interview mit dem Magazin TIME, nachdem er unlängst auf die Frage, was er für den größter Fehler in seiner ersten Amtszeit halte, geantwortet hatte: "Ich habe den Leuten nicht genug Geschichten erzählt.")

Montag, 3. September 2012

Vorwärts


(zum Vergrößern auf Link klicken)

Das jüngste von der griechischen Regierung geschnürte Austeritätspaket - um als Gegenleistung weitere Gelder von der Troika zu erhalten, die sie nur dann erhalten wird, wenn sie weiterhin Austeritätspakete schnürt - umfasst die "Reduktion von Steuerbefreiungen" in Höhe von 450 Millionen Euro, darunter:
- 67 Prozent weniger Steuerbefreiung für behinderte Menschen
- Komplette Streichung der Einkommenssteuerbefreiung für arbeitslose Menschen
Kommentar eines Syriza-Sprechers bei VimaFM radio, Athen:
"Da ist er - der Plan umfasst sehr harte horizontale Maßnahmen, die einen großen Teil unserer Gesellschaft in dieser Übergangszeit zerstören werden. Das Land wird hinter Jahrzehnte des sozialen Fortschrittes zurückfallen: ein Bild, das an die Nachkriegszeit erinnern wird. Eine neuerliche Runde von Austeritätsmaßnahmen wird zu einer neuerlichen Abwärtsspirale von Austerität und Rezession führen, mit Millionen von Arbeitslosen, bedürftigen Bürgern und verarmten Rentnern."
Kommentar von Francois Hollande, französischer Staatspräsident und früherer Vorsitzender der Sozialistischen Partei:
"Wir warten das europäische Gipfeltreffen im Oktober ab. Dann wird es von der Troika einen Bericht über Griechenland geben. Meine Position ist: Griechenland muss uns überzeugen, dass es den Konditionen des Memorandums nachkommt, und darf keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass es sich vorwärts bewegt."

Hunger Games


Cesar Santander - Daisy at mirror, acrylic on canvas, 2007

Zu dick?
Zu kurze Beine?
Zu viele Kurven?

Die Lösung:

Daisy goes Designer-Barbie, 2012

Ess-Störungen ab sofort bereits im Kindergarten.

Sonntag, 2. September 2012

Alternativlos katastrophal


Einer von der ökonomischen Alternativlos-Front hat sich ungebeten zu Wort gemeldet und verbreitet Endzeitstimmung.

Ungebeten deshalb, weil er als Sprachrohr der UNO fungiert und es nicht so recht einleuchten will, woher ausgerechnet die UNO die Kompetenz hernimmt, den Teufel der explodierenden gesamteuropäischen Arbeitslosigkeit an die Wand zu malen, sollte das alternativlose Europa - also, das alternativlose Euro-Europa - auseinanderbrechen.

Die Kompetenz kann es nicht gewesen sein. Denn wenn einer ausschließlich mit Zahlen um sich wirft, um das kommende Horrorszenario zu prognostizieren, jedoch auf jedweden Begründungszusammenhang - Fakten, Erläuterungen, Argumente - verzichtet, dann hat ihn keine Kompetenz, sondern ideologischer Druck motiviert, mal eben zu Propagandazwecken die Kristallkugel rotieren zu lassen. Furchterregende Zahlen - sogar bis hinters Komma genau -, deren Herkunft im Dunkeln bleiben, so dunkel wie das ideologisch geschwärzte Innere der rotierenden Kugel. Furchterregend sind die Zahlen, weil sie "katastrophal" sind, drunter geht's nicht, weil, drunter wären die Zahlen ja nicht furchterregend, und nur darum geht es: um die Furcht.

Um die Furcht vor der "katastrophalen Zukunft", induziert durch den "katastrophalen Anstieg der Arbeitslosigkeit" für den Fall, dass Griechenland (wieso eigentlich immer nur Griechenland?) die Eurozone verlassen, oder gar - horribile dictu! - der komplette Euro-Saftladen auseinanderfliegen sollte. Da von dem prophetischen UNO-Ökonomen außer Zahlen, eindringlichen Warnungen sowie x-malig heraufbeschworenen "Katastrophen" nichts weiter Erhellendes, gar Analytisches geboten wird, bitte, dann halt ein paar Zahlen:

Spaniens Arbeitslosigkeit würde, so kalkuliert der UNO-Hobbysterngucker, im Jahr 2014 auf 36,9 Prozent ansteigen, die Jugendarbeitslosigkeit auf 59 Prozent. Ähnlich "katastrophale" Zahlen preist er für Griechenland und Portugal ein. Ob die Spanier, Griechen und Portugiesen von der kaffeesatzlesenden Hochrechnung nachhaltig zu schockieren sind, darf bezweifelt werden, denn sie haben sich ja bereits jetzt - als Eurozonenbewohner - mit einer schockierenden Arbeitslosigkeit herumzuschlagen; in Griechenland und Spanien wurde die 50-Prozent-Marke bei der Jugendarbeitslosigkeit längst überschritten, und Portugal (36,4 Prozent) ist - als Eurozonenbewohner - auf einem steilen Weg.

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Diese katastrophalen Zahlen in der Eurozonenperipherie verdanken sich dem katastrophalen (alternativlosen) Euro-Krisenmanagement und werden infolge des katastrophalen (alternativlosen) Euro-Austeritäts-Konsensus noch katastrophaler in die Höhe schnellen. Jetzt können sich die arbeitslosen Griechen, Spanier und Portugiesen (dicht gefolgt von den arbeitslosen Italienern mit 35,3 Prozent Jugendarbeitslosigkeit) an einer Hand ausrechnen, welche Perspektive für sie katastrophaler ist: die in der Eurozone oder die ohne - weil auseinandergeflogene - Eurozone?

Egal, der deutsche UN-Ökonom sitzt rechnend an seiner Kristallkugel und rät dringend, alles so katastrophal weiterlaufen zu lassen wie bisher; alles andere würde katastrophal enden. Vielleicht weniger für die Südeuropäer, dafür umso katastrophaler für die Deutschen: 11,3 Prozent Arbeitslosigkeit im Jahr 2014 "und darüber hinaus", also eine glatte Verdoppelung im Falle eines Auseinanderbrechens der Eurozone!

Deutsche! Wollt ihr das? Das könnt ihr doch nicht wollen! Habt ihr vergessen, wie miserabel es euch ging, damals, als es den Euro noch nicht gab und ihr - brotlos, in Sack und Asche gewanded, frierend in ungeheizten Dachböden - das Erfolgsmodell Eurozone herbeisehntet? Die nackte Furcht sollte euch packen, wenn die gutdotierten Systemvertreter der Eurozone euch davor warnen, dass ihr ohne das System Eurozone arbeitslos werdet! Habt ihr das verstanden?

Und jetzt alle:

Ich bewohne
die schönste Zone,
die Eurozone,
da bleib' ich drin.

Denn ohne Zone,
die Eurozone,
Gott uns verschone -
ist alles hin.

Alternativlose aller Länder, vereinigt euch. Gründet eine Alternativlosenzone, schafft euch eine Alternativlosenwährung und, ganz wichtig!, eine Alternativlosensprache. Als Grundwortschatz reichen die Vokabeln alternativlos und katastrophal völlig aus. Habt ihr das verstanden? Gut. Und jetzt einfach mal die Klappe halten, alternativlos. Weil ihr mir nur noch katastrophal auf den Geist geht.