Dienstag, 16. Juli 2013

Austerität im Vollmodus


Eigentlich ist alles gar nicht so komplex, wie immer getan wird. Eigentlich ist alles sogar ziemlich leicht verständlich, und zwar deshalb, weil es einem so leicht gemacht wird, alles zu verstehen. Weil sich ja kaum noch jemand die Mühe macht, ernsthaft zu verschleiern, worum es eigentlich geht.

Worum geht es? Erstens geht es darum, dass kein Geld da ist, zweitens geht es darum, Geld zu beschaffen, drittens geht es darum, das Geld dort zu holen, wo keines ist, um es dorthin zu transferieren, wo das Geld bereits ist. Easy, oder? Mit anderen Worten: Wer hat, der hat. Und wer nicht hat, hat auch etwas, nämlich Pech gehabt. War das jetzt unterkomplex? Meinetwegen, dann ist die Realität halt unterkomplex.

Sehr schön zu beobachten ist die unterkomplexe und darum leichtverständliche Realität aktuell in Griechenland. Bekanntlich ist in Griechenland kein Geld da. Also muss gekürzt und das Geld dort geholt werden, wo keines ist, nämlich bei den Leuten, die so wenig verdienen, dass es zum Leben nicht reicht, aber zum Steuernzahlen reicht es allemal. Findet die griechische Regierung. Hat ihr die Troika so diktiert. Weil die Troika weiß, wie Austerität buchstabiert wird: runter mit den Löhnen, rauf mit den Steuern, weg mit dem wohlfahrtsstaatlichen Sozialballast, rein ins volle Elend.

Irgendwo muss das Geld ja herkommen, sagt die Troika, also bitteschön, her mit der Kohle, und irgendwohin muss das Geld ja fließen, dankeschön, sagt die Troika, es reicht vollauf, wenn der griechische Staat euch armselige Hungerleider abkassiert und wir im Gegenzug das Privileg der Steuerfreiheit genießen, denn wir waren schon immer der Meinung, dass Nehmen seliger als Geben ist - steht doch schon in der Bibel: nimm, so wird dir gegeben -, und jetzt nix wie ab zum Relaxen auf unsere Yacht mitten in der Aegaeis, wo wir unser - wie soeben von der griechischen Regierung freundlicherweise bestätigt - steuerbefreites Luxusleben in vollen Zügen genießen können:
Die griechische Regierung hat eine Steuerbefreiungsklausel ausgearbeitet, eigens entworfen für die Mitarbeiter der EU, des IMF und der Task Force. Die bei der Troika beschäftigten Personen, besonders jene mit dauerhaftem Wohnsitz in Griechenland, sind von der Pflicht einer Steuererklärung entbunden. Sie können Villen kaufen, Luxusautos und Yachten und jene Gesetze über Bord werfen, die sie selbst den Griechen aufgezwungen haben.
"Paragraph 4, Artikel 30 der neuen Einkommens-Abgabenordnung sieht vor, dass die Bestimmungen der Artikel 31-34 dieser Ordnung, welche Angaben zu den Einkommensverhältnissen und zu dem Erwerb von Vermögenswerten betreffen, keine Anwendung finden auf jede natürliche Person, die beschäftigt ist in einer Institution der Europäischen Union beschäftigt oder derjenigen internationalen Organisation, die unter internationalem, für Griechenland gültigem Ankommen eingesetzt wurde."
Klingt nach komplexem Paragraphengeschwurbel, wird aber in der Praxis spielend leicht verständlich:
"Praktisch bedeutet dies, dass es allen ausländischen Repräsentanten der Troika und der EU Task Force ('call me Reichenbach, Horst Reichenbach') erlaubt sein wird, Villen, Luxusautos, Yachten und sogar Papiere der griechischen Aktienbörse oder griechische Staatsanleihen zu kaufen, ohne der Finanzbehörde gegenüber zu Angaben verpflichtet zu sein, wo sie das Geld für ihre 'Spielplatz-Investitionen' aufgetrieben haben."
Sozialneid, anyone? Nicht doch, ihr einkommensschwachen Griechen, kommt einfach an Bord unserer Luxusyacht, da gibt es jede Menge Billigjobs für euch, von Deckschrubben bis Thekendienst, schließlich wollen wir anständig bedient werden, selbstverständlich kostenbewusst, Prinzip Austerität, kennt ihr ja inzwischen zur Genüge.

Noch unterkomplexer entwickelt sich derzeit die Realität in Spanien. Spanien? Ach ja, auch eins jener südeuropäischen Länder, von denen man in letzter Zeit verdächtig wenig hört, was nicht etwa mit dem Wahlkampf in Deutschland (bitte keinerlei Euro-Katastrophenmeldungen bis einschließlich September!) zu tun hat, sondern damit, dass es aus Spanien eh nur Gutes zu berichten gibt:
"Die Rezession ist Vergangenheit," sagt der Wirtschaftsminister
- lautet die Schlagzeile. Das geht runter wie Öl, das versteht jeder, das Leben ist schön, alles wird gut. Spanien voll in der Blüte des Aufschwungs. Sagt der zuständige Gärtner, ähm, Wirtschaftsminister:
"Was wir jetzt tun müssen, ist gut aufzupassen auf den Aufschwung, als wäre er ein kleiner Setzling in einem Gewächshaus. Und die Methode, gut darauf aufzupassen, besteht in wirtschaftlichen Reformen, die Finanzen zu verbessern sowie das Haushaltsdefizit zu reduzieren in gemäßigten Schritten."
Allerfeinster Troika-Sprech. Er hätte genauso gut sagen können: Es ist kein Geld da, wir brauchen Geld, wir holen es uns dort, wo keines ist, um es dorthin zu schaffen, wo das Geld bereits ist. Machen sie eh die ganze Zeit in Spanien.

Leider hat der fürsorgliche De Guindos ganz vergessen, in seinem Methodenmix die entscheidende Aufpass-Maßnahme zu erwähnen, mit der der kleine Setzling namens Aufschwung im großen spanischen Gewächshaus geschützt werden soll. Geschützt vor wem? Na, vor all den vielen Spaniern, die dem Minister das mit dem Aufschwung nicht abnehmen, weil sie inzwischen so wenig verdienen, dass es zum Leben nicht reicht, was den Minister nicht daran hindert, genau dort das Geld zu holen, wo keines ist, um es dorthin zu schaffen, wo ... Austerität halt: runter mit den Löhnen, rauf mit den Steuern, weg mit dem Sozialballast, rein ins volle Elend ... siehe oben. Überall dasselbe Mantra.

Jedenfalls, der Aufschwung muss geschützt werden. Sonst kommen die vielen Spanier, die ihn als Abschwung erleben, noch auf die Idee, das gläserne Gewächshaus mit Steinen zu bewerfen. Darum investiert die spanische Regierung das Geld, das sie den armen Hungerleidern abgezwackt hat, in den bewaffneten Kampf gegen die armen Hungerleider:
Während im Jahr 2012 die Ausgaben für die polizeiliche Ausrüstung zur Bekämpfung von Protesten noch 173.000 Euro betrugen, wurden für das Jahr 2013 3,26 Millionen Euro bereitgestellt. Bis zum Jahr 2016 sollen diese Ausgaben laut Plan auf mehr als 10 Millionen Euro gesteigert werden.
Interessantes Kopfrechnen: Wie hoch ist die jährliche Budget-Wachstumsrate für das Geld, das bereit steht für die militärische Aufrüstung der Polizei zum Zwecke der Bekämpfung von Unruhen in der Bevölkerung? Viel zu komplex für den kleinen Kopf, her mit dem Taschenrechner: 1.900 % in nur einem Jahr. In Worten: eintausendneunhundert Prozent mehr Geld, um den rezessionsgeschädigten Spaniern den Krieg zu erklären. Und das, wo doch die Rezession angeblich Vergangenheit ist! Ist das jetzt komplex oder unterkomplex? Weder noch. Das ist, aus Sicht der herrschenden Regierung, völlig komplexfrei. Und darum kinderleicht zu verstehen.

Noch ein Blick auf das Waffenarsenal, mit dem die spanische Polizei aufgerüstet wird, um die revoltierende eigene Bevölkerung niederzuschlagen -
Schussichere Westen, Tränengas, Schlagstöcke, Schutzschilder, Gummigeschosse ...
(... normale Härte, oder? Kein Aufregerthema? Gummigeschosse sollen laut EU-Verordnung übrigens aus dem Verkehr gezogen werden, aber wen jucken schon EU-Verordnungen?)
... Lasergewehre, die vorübergehend oder dauerhaft zur Erblindung führen
akustische bzw. Ultraschall-Waffen ("Sound-Kanonen", im amerikanischen Inlandseinsatz erprobt) 
Mikrowellengeschütze (erzeugen schwere Verbrennungen) 
elektromagnetische Waffen (sogenannte "Energiewaffen": vertreiben, paralysieren, schädigen oder vernichten) 
Kanonengeschütze, die klebstoffartigen Schaum ausschleudern, die das Opfer am Boden festkleben lassen
- und damit als schlagkräftige Söldnerarmee des (nicht nur) spanischen Kapitals bestens aufgestellt zu sein.

Weil, irgendwoher muss das Geld ja kommen. Und irgendwohin muss es fließen. Nämlich dorthin, wo das Geld bereits ist und wo es bleiben soll, und damit das so bleibt, muss es, das viele Geld, mit viel Geld geschützt werden. So viel Unterkomplexität muss sein.

2 Kommentare:

  1. Leider sehr wahr, aber wenigstens vergnüglich zu lesen für jemanden (mich) der bis jetzt eher (gefühlt) wenig von diesem Wahn über das normal Übliche hinaus betroffen ist.

    MfG: M.B.

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    1. Wart's nur ab, wenn erst der September rum ist, wird auch hier an der "Wahn"schraube kräftig gedreht werden ;)

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