Donnerstag, 29. August 2013

Nicht hängen lassen, Mr. President


Ich lag mal wieder voll daneben.

Gestern spekulierte ich noch, es läge ein Fall pubertärer Präpotenz vor.

Irren ist weiblich.

Sorry.

Was weiß denn ich von Potenzproblemen.

Kann ich ja gar nicht mitreden.

Hätte das mal besser recherchieren sollen.

In Wirklichkeit ist alles ganz anders.

De facto handelt es sich nämlich um ein typisches Phänomen schwerster midlifecrisis-bedingter präsidialer Impotenz.

But don't worry, es ist ein Kraut dagegen gewachsen:

Fireagra™
Puts the power back in your superpower.
Fireagra™ is America's No. 1 response to foreign policy impotence.
So, fire away, get back on top!
Because you don't have to live with foreign policy impotence.
Ask your president if Fireagra™ is right for you. 
Er kann dich dann auch über Risiken und Nebenwirkungen der Wunderallzweckwaffe Fireagra™ aufklären.

Könnte.

Wenn er wöllte.

Will er aber nicht.

Wenn er ehrlich wäre.

Ist er aber nicht.

War schon immer so.

Gehört zum Befund.

Und jetzt her mit dem Stoff.

Shoot-'em-up. All of them.

Because you don't have to live with foreign policy impotence.

Na bitte. Geht doch schon wieder.


(Verlinktes Video des Cartoonisten Mark Fiore, via Mother Jones)

Mittwoch, 28. August 2013

Muckibude Syrien


Bodybuilder dieser Welt, geht in Deckung.
Einfach weghören, okay?
Egal wie aufgepumpt ihr seid.
Ihr habt Besseres verdient.
Besseres als dieses:
Ein U.S. Amtsträger, der informiert worden war bezüglich der (kriegerischen) Optionen in Syrien, erklärte, er gehe davon aus, das Weiße Haus strebe ein Level an Intensität an, das "ausreichend muskulös sei, um von niemandem verspottet zu werden", aber nicht so zerstörerisch, dass es einen Gegenschlag der syrischen Verbündeten Iran und Russland provoziere.
Holy shit.
Ausreichend muskulös, um von niemandem verspottet zu werden.
Mr. Olympia goes to Syria. 
Die Muskeln spielen lassen.
Nur so ein bisschen.
Aber schon so muskulös, dass ihn niemand auslacht.
Und es für ein paar Zehntausend Tote reichen dürfte.

Ich fürchte fast, Kriege sind dazu da, um ein paar unerledigte adoleszente Probleme aufzuarbeiten. Wer mit solchen Muskeln spielt, braucht für den Spott nicht zu sorgen.

 *facepalm*

Wahlverwandtschaft


Wahlempfehlungen sind ja zur Zeit schwer en vogue. Auf Schritt und Tritt fliegen mir irgendwelche Wahlempfehlungen um die Ohren, auch dann, wenn ich nur ganz harmlos unterwegs bin auf der Suche nach relevanten Informationen über das, was in der Welt grade passiert. Und was passiert grade in der Welt? Wahlempfehlungen. An Relevanz kaum zu überbieten. Sich gegenseitig überbietende, sich an Relevanz überbietende, ja überschlagende, die Welt in Kürze aus den Angeln hebende Wahlempfehlungen.

argh.

Nach gefühlt 783 relevanzstarken Wahlempfehlungen packte mich heute früh eine tiefe Sehnsucht nach  Maßstäbe setzender Irrelevanz. Und siehe, ich wurde fündig. Eine Wahlempfehlung, an Irrelevanz nicht zu überbieten. Bei argh!de:
Wahlempfehlung
fangt wieder an nachzudenken. verabscheut arschlöcher, immer und überall. und hört auf damit, euch um irgendwas zu kümmern, das euch nichts angeht. seid hilfsbereit und nett, und setzt auf gesunden menschenverstand und bauchgefühl im umgang mit anderen menschen. seid skeptisch gegenüber heilsversprechen, am besten generell gegenüber versprechen. seid neugierig und interessiert, und findet fortschritt gut, technischen wie auch geistigen, schafft religion ab, hütet euch vor papierkram und verwaltung und ordnungsämtern. stellt werte und wertvorstellungen anderer in frage, entwickelt eure eigenen, tut keine dinge, die scheiße sind. weigert euch, für dumm gehalten zu werden, außer ihr seid es. setzt euch für andere ein, bietet hilfe an, wenn's geht, und versucht nicht andauernd an erwartungen und erwartungshaltungen zu glauben. werdet lässiger und radikaler, werdet entspannter und bestimmter. werdet libertär. macht am 22. september meinetwegen ein kreuzchen bei den piraten oder eben nirgendwo, aber geht nicht davon aus, dass sich damit, dadurch und danach etwas ändert.
Welch ein Labsal.

Machte mich auf der Stelle entspannter. Und lässiger. Und radikaler. Mit dieser Wahlempfehlung komme ich locker durch die nächsten dreieinhalb relevanzfreien Wochen. Danke, argh.

Dienstag, 27. August 2013

Was weg muss


Ich hatte mir geschworen, dieses Jahr von dem Thema die Finger zu lassen. Nachdem ich es vor vier Jahren um die gleiche Zeit, an der Tastatur randalierend, in epischer Breite ausgeschöpft habe.

Das Thema hieß:
Wahlplakate im allgemeinen.
Im besonderen: Wahlplakate, die Radwege blockieren.
Wahlplakate, die rotzfrech mitten auf Radwegen thronen und die Radfahrer zwingen, auf Bürgersteige, Straße oder Wiese auszuweichen. Oder, bei Gegenverkehr, abzusteigen.
Wahlplakate, die wie breitärschige Platzhirsche dem Radfahrer von weitem entgegenröhren: Das ist mein Revier, klar?, ich bin hier, und wo du bleibst, ist mir so egal wie Nachbars Pisspott.

Wie gesagt, ich hatte mir geschworen. Aber manche Wahlplakate bringen es zu einer so unfassbaren Impertinenz, dass Schwüre gebrochen werden müssen. Nicht bloß, dass sie mit mehr als der Hälfte ihrer Fläche in den Radweg hineinragen. Obendrein schauen sie kackdreist in genau die Richtung, wo der Radfahrer sich an ihnen vorbeizuquetschen genötigt sieht, und röhren ihm lauthals entgegen:


Nein, Claudia, du bist nicht hier. 
Du warst hier.
Jetzt bist du weg.
Und ich?
Ich bin hier.
Das ist mein Revier, klar?
Du glaubst gar nicht, Claudia, 
wie gut sich ein verstauchter Zeh 
am rechten Fuß anfühlen kann.

Montag, 26. August 2013

Einstellungsoffensive für Zombies


Fachkräftemangel und kein Ende.

Jetzt hat es eine der wachstumsstärksten Branchen erwischt. Jene Industrie, die sich unermüdlich neue Märkte erschließt, die immer mehr ihrer Produkte in immer mehr Ländern an den Mann zu bringen bestrebt ist, oder vielmehr an die Männer, an möglichst viele Männer, also, an immer mehr Männer. Sonst wäre es ja keine Wachstumsindustrie. Wobei auch Frauen und Kinder als Endabnehmer durchaus gern gesehen sind - diese Industrie ist bezüglich ihrer Zielgruppe nicht besonders wählerisch.

Das Problem ist nur: Um die Zielgruppe wirklich zu erreichen, also zu treffen, bedarf es gut ausgebildeten Fachpersonals. Und daran hapert es:
Die U.S. Luftwaffe klagt, sie könne nicht genug Piloten finden, um ihre Drohnenflotte zu betreiben.
Es ist ein Jammer. Da werden immer mehr Drohnen gebaut und bestellt, die Nachfrage bricht alle Rekorde - ein Wachstumsmarkt wie aus dem Bilderbuch ("boomendes robotergesteuertes Geschwader") -, und dann das: eklatanter Fachkräftemangel. So viele Drohnen, so wenig Piloten!

Und das, obwohl es doch weiß Gott massenweise Kids und junge Erwachsene mit ausgereiften video gaming skills gibt heutzutage! Ja, wieso ist es dann so schwierig für das Militär, diesen hervorragend qualifizierten Nachwuchs zu rekrutieren? Fehlt dem Nachwuchs etwa die Motivation zum Langstrecken-Töten, ist der Killerinstinkt für ferngesteuertes Massakrieren ungenügend ausgeprägt? Oder sind die jungen Leute von heute zu verweichlicht - sprich: nicht feige genug -, um aus vollklimatisierten, komfortablen Militärbunkern heraus per Knopfdruck unschuldige Zivilisten (Männer, Frauen, Kinder) in Stücke zu zerreißen?

Jedenfalls muss der Oberste Heeresführer, Friedensnobelpreisträger und Verwalter von (für den Drohneneinsatz erstellten) "kill lists" sich bald etwas einfallen lassen; erst recht, wo er gerade im Begriff ist, wieder mal kriegslüstern die Krallen auszufahren. Da kann die Militärindustrie noch so bombig aufgestellt sein, mit zum Platzen vollem Drohnen-Auftragsvolumen und verheißungsvoll wachsenden Märkten, hm, Einsatzgebieten - irgendein rückgratloser, desensibilisierter, auf Dehumanisierung gedrillter Soziopath muss die ferngelenkten Killermaschinen bedienen.

Und weil Soziopathen nun mal nicht auf Bäumen wachsen, muss die Drohnen-Wahrnehmungs-Industrie - vulgo: Kriegs-PR - volle Kraft angeworfen werden:
Das Militär und die corporate media befinden sich voll im Übersteuerungsmodus, um die öffentliche Wahrnehmung des U.S. Drohnenprogrammes zu verbessern und Drohnenattacken in einem besseren Licht erscheinen zu lassen. Ein Teil des Wortgeklingels legt nahe, dass nicht nur auf die öffentliche Meinung abgezielt wird, sondern - noch wichtiger - auf die Meinung von potentiellen Drohnenpilot-Rekruten. Drohnenpiloten werden umdefiniert zu "sensor operators". Die Drohnenindustrie fährt eine Kampagne zur Abschaffung des Wortes Drohne. Und um Drohnenpiloten zu rekrutieren, setzt die Air Force verstärkt Videospiele ein und bezeichnet diese als "militainment".
MilitainmentJoin the army. Have fun.
Spiel' das Spiel deines Lebens, knall' sie alle ab, but let's play it safe,
du selbst bleibst stets in sicherer Entfernung.

Hey, Videospielfreak, schon mal was vom "double tap" gehört? Klar hast du das, bist ja ein Kenner der Materie!
Der Begriff double tap ist eine der Regeln aus dem populären Film Zombieland, der auch als ein Videospiel verfilmt wurde. Der Film basiert auf den Abenteuern eines jungen Mannes, während er durch eine Zombie-Apokalypse navigiert. Er lernt, auf bestimmte Überlebensregeln zu setzen. Double tap - auf jeden Zombie zweimal zu schießen, selbst wenn der bereits tot aussieht - ist eine der Regeln.
Siehst du, genau so machen wir das auch mit unseren Drohnen, hm, Sensoren. Es gibt bei uns im Militär eine Drohnentechnik, die nennen wir "double tap", und die geht so:
Eine Drohnenattacke wird durchgeführt, und nur wenige Augenblicke später werden die ersten Helfer, die am Schauplatz eintreffen, um die Opfer zu retten, von einer zweiten Drohnenattacke getroffen.
 - um wirklich ganz sicher zu gehen, you know. Weil, doppelt gekillt hält besser, aber wem sagen wir das, für dich, den geübten Videospieler, ist das ja nichts Neues - come on, join the army, join us playing, fire up your double tap, shoot them zombies, sie haben es nicht besser verdient, unsere Feinde, die Terroristen, all die Männer, Frauen und Kinder, die gerade eine Hochzeit feiern oder einem Begräbnis beiwohnen oder zum falschen Zeitpunkt sich am falschen Ort aufhalten - Zombies, alles Zombies.


Worauf wartest du noch? Komm spielen! Die Army braucht dich, sucht dich händeringend, sie wartet auf dich, dein Land wartet auf dich, ja, dein Land, denn dein Land bietet dir einen zukunftssicheren Job, denn in deinem Land werden bereits Zehntausende von Drohnen hergestellt für den Hausgebrauch, für den Einsatz in deinem Land - Zombieland, you know.

Es gibt viel zu tun. 
Join us. 
We are the real Zombies.
Wir wollen doch nur spielen.

Mittwoch, 21. August 2013

Der Müll, die Stadt und die Not


Heute mal wieder Schnee von gestern. Ein Tässchen aufgewärmten kalten Kaffees gefällig? Bitteschön:

Mir scheint, das Lagerdenken kommt allmählich richtig in Schwung. Also, was heißt allmählich - keine Atempause!, es geht voran, und das zügig. Zwar stehen noch keine Güterzüge zum Abtransport bereit, aber die lassen sich bekanntlich schnell organisieren, sofern Handlungsbedarf besteht. Und überhaupt, was heißt Lagerdenken - es wird längst nicht mehr gedacht, es wird gehandelt. Eben weil nämlich Handlungsbedarf besteht.

Darf ich nachschenken? Bitteschön, noch ein Tässchen von dem aufgewärmten Gebräu, damals (21. Mai 2013) schrieb ich "Wohin mit dem ganzen Müll? Allmählich bahnen sich Lösungen an." Jetzt, genau drei Monate später, liegen die Lösungen fix und fertig auf dem Tisch, wurden einstimmig verabschiedet und sollen zügig in die Tat umgesetzt werden. Wegen des Handlungsbedarfs. Der ist dringend, heißt es.

Deshalb heißt das neue Endlösungsprogramm Emergency Homeless Response, was so viel bedeutet wie: obdachlose Menschen dringend raus aus der Stadt, und zwar zügig und systematisch, freilich ohne Zwang, denn die Zielgruppe hat die Alternative "Haut ab oder ihr werdet verhaftet". Und so funktioniert es:
South Carolina Columbia verabschiedet Plan zur Verbannung (to exile) seiner Obdachlosen
Die Polizei hat ab sofort den Auftrag, im Stadtzentrum zu patroullieren und dafür zu sorgen, dass obdachlose Menschen draußen bleiben.
Ja, gibt es denn in Columbia dafür überhaupt genug Polizisten? Es gibt nämlich in Columbia 1.518 obdachlose Menschen, weshalb die örtliche Polizei klagt, ihr fehle es an "Manpower", um die ihr zahlenmäßig überlegenen Menschen ohne Wohnsitz abzutransportieren, zu "exilieren", wie es ohne falsche Scheu vor epochalen historischen Vorbildern heißt. Kein Problem, die Stadtverwaltung Columbias hat an alles gedacht, sogar an die knappe Personaldecke ihrer Ordnungsbehörde:
Zur Unterstützung des Ablaufes wird eine Hotline eingerichtet werden, mithilfe derer Geschäftsleute und Anwohner die Anwesenheit eines obdachlosen Individuums der Polizei melden können, um sicher zu gehen, dass ihr keiner durch die Lappen geht.
Klingt irgendwie bekannt, oder? Wie gesagt, dringende Probleme erfordern systematische Lösungen. Irgendwo habe ich dazu den schockierten Kommentar gelesen: "Ja, haben die denn gar nichts aus der deutschen Vergangenheit gelernt?" und mir gedacht, wieso, im Gegenteil, die haben sogar sehr viel gelernt in Columbia und wenden das Gelernte jetzt eben an:

Die Polizei bittet um Ihre Mithilfe.
Melden Sie auffällige Personen.
Wir zählen auf Sie als verantwortungsbewusste, engagierte Bürger.
Helfen Sie, unsere Stadt sauber zu halten.
Lassen Sie uns gemeinsam den Müll fortschaffen.

Als adäquate Mülldeponie hat sich die Stadtverwaltung etwas ganz Besonderes ausgedacht: Ein bislang als Winter-Notunterkunft genutztes saisonales Lager am Stadtrand soll künftig ganzjährig und ganztägig den abtransportierten obdachlosen Menschen offenstehen. Also, was heißt offenstehen:
Während es obdachlosen Individuen erlaubt sein wird, in der Notunterkunft zu bleiben, wird es ihnen nicht erlaubt sein, das Grundstück wieder zu verlassen.
Fürwahr ein epochales Unterbringungskonzept - wenn das nur nicht alles so verdammt bekannt anmuten würde. Aber bitte, ich hatte eingangs ja gewarnt, von wegen aufgewärmter kalter Kaffee. Oder sagt man dazu 'alter Wein in neuen Schläuchen'? Jedenfalls wird die Stadtverwaltung Columbias auf der Straße zur Notunterkunft einen Polizeiposten einrichten, der verhindert, dass einer der Insassen zurück in die Stadt marschiert.

Was wollen diese Insassen denn auch in der Stadt, jetzt, wo ihnen ein so komfortables Quartier vor den Toren der Stadt eingerichtet wurde? Immerhin bietet das umfunktionierte Kältenotlager Platz für bis zu 240 "Gästen"; da wird es wohl mit der sechsfachen Anzahl obdachloser Menschen (1.518) locker fertig werden, irgendwie. Doppel-, Dreifach-, Vierfach-Bettenbelegung oder so. Hauptsache hinter Schloss und Riegel. Out of sight, out of mind.

Ach so, noch etwas. Fast hätte ich's vergessen. Die in Columbia angestrebte vorläufige Endlösung erfolgte aufgrund mehrfacher Beschwerden ansässiger Einzelhändler, "die (obdachlosen Menschen) machen uns das Geschäft kaputt". Ein leidiges Phänomen, auch vielfach beklagt in der Frankfurter Innenstadt:

"Geschäftsleute genervt: 
Obdachlose Großfamilie campiert nachts vor den Läden"

Über den ethnischen Hintergrund der obdachlosen Großfamilie erfahren wir auf Seite 3. "Rumänen und Bulgaren" hätte sich auf der Titelseite nicht so gut gemacht. Schließlich hat man aus der deutschen Vergangenheit gelernt, Sie wissen schon, lieber Leser. Für die Titelseite begnügen wir uns darum mit einem dezenten Hinweis auf den bedauerlichen Sittenverfall "unserer Momo", Sie wissen schon, exotisch, rassig, wenn auch nicht ganz reinrassig.

Wie gesagt, alles Schnee von gestern. Nichts als kalter Kaffee. Noch ein Tässchen? Oder lieber gleich eine Armbinde, 'O' für obdachlos, 'A' für arm, 'H' für Hartz IV, 'R' für Roma ... ach, machen Sie sich mal keine Sorgen, wir kriegen das Alphabet schon noch voll und die Stadt leer. Fröhlichen Stadtbummel!

Dienstag, 20. August 2013

Kriegserklärung


Allerorten wird viel spekuliert über die Hintergründigkeiten der jüngsten britischen Übergriffe auf investigative Zeitungen, auf Journalisten und Ehemänner von Journalisten.

Dabei ist alles ganz vordergründig. Die sagen uns frei heraus, worum es eigentlich geht. Man muss ihnen nur genau zuhören. Techdirt hat es getan und die entscheidende Botschaft aufgespürt.

Botschaft? Ja klar, Botschaft, was denn sonst:
"Ein US-Funktionsträger ..."
- wieso eigentlich ein US- und kein UK-Funktionsträger? Haben nicht die USA beteuert, sie hätten mit den britischen Übergriffen nichts, aber auch rein gar nichts zu tun? Egal. Gehört zur Botschaft. Weiter:
"Ein US-Funktionsträger räumt ein, einer der Hauptzwecke der UK-Festnahme von Glenn Greenwalds Partner sei gewesen, eine 'Botschaft zu senden'."
Eine Botschaft! Was für eine Botschaft? Die Botschaft, dass die "britische Regierung es ernst meint". Aha. Also keine Botschaft, sondern eine Drohung. Ein amerikanischer Funktionsträger, der mit allem nicht zu tun gehabt haben will, droht damit, dass die britische Regierung es ernst meint.

Anderes Wort für 'Drohung'?

Kriegserklärung, was denn sonst.

An wen? Gebt der Presse auf die Fresse. Allen anderen sowieso.

Botschaft angekommen, danke.


Sonntag, 18. August 2013

Klare Ansage


Eigentlich war zu dem Thema bereits alles gesagt. Dachte ich.

Denn was gibt es noch zu sagen, wenn die griechische Regierung sich damit brüstet, immer mehr Obdachlosenheime aus dem Boden zu stampfen, während sie im Begriff ist, immer mehr Menschen in die Obdachlosigkeit zu treiben?

Doch, da gibt es durchaus noch etwas zu sagen. Das letzte Wort hat der griechische Finanzminister Yannis Stournaras.
"Wenn wir die Menschen nicht in die Obdachlosigkeit treiben, kollabieren die Banken."
Hat er so natürlich nicht gesagt.
"Wir müssen die Menschen aus ihren Häusern vertreiben, sonst kollabieren die Banken."
Schon eher so. War aber auch nicht der exakte Wortlaut.
"Wenn wir nicht wollen, dass die Banken sterben, müssen wir die Menschen in den Suizid treiben."
Kommt der Wahrheit schon näher. Kommt aber irgendwie nicht gut.
"Um zu verhindern, dass die Banken zusammenbrechen, müssen wir zulassen, dass die Menschen zusammenbrechen."
Trifft den Kern der Sache. Klingt nur so unangenehm melodramatisch. Dann doch lieber so:
"Lieber die Menschen in den Ruin treiben als die Banken."
Ja, das hat was. Das hat fast Sloganqualität. Schön griffig, schön kurz, knackig auf den Punkt gebracht. Nur immer noch viel zu menschelnd. Geht's nicht ein bisschen versachlichter? Doch:
"Wenn wir keine Zwangsvollstreckungen erlauben, werden die Banken kollabieren."
Genau. Jetzt ist der Faktor Menschlichkeit dort, wo er hingehört:
bei den Banken. Das weckt Mitgefühl, das geht ans Herz. Obwohl,
na ja, vielleicht noch einen Extraschuss entmenschlichender Sprachkosmetik? Einen Tick technokratischer formuliert? Unmissverständlich Prioritäten setzend? Geht da noch was? Bitte sehr:
"Wenn Hausversteigerungen nicht liberalisiert werden, werden die Banken kollabieren."
Damit wäre nun wirklich alles gesagt.

Samstag, 17. August 2013

Land des Lächelns


"Weißt du, ..."
- ja, du, hör mir mal gut zu, ich rede jetzt mal ganz vernünftig mit dir; so, wie ein ganz Vernünftiger mit einem unvernünftigen Kind redet.
"... wenn du außerhalb der Geheimdienst-Szene stehst ..."
- und wer tut das nicht? Außer mir natürlich. Bei dir ist das was anderes. Drum rede ich ja jetzt mal ganz vernünftig mit dir.
"... also, wenn du der normale Durchschnittsbürger bist ..."
Na? Fühlst du dich schon angesprochen? Komm her, mein kleiner Durchschnittsdepp, jetzt erzähl' ich dir was:
"... und du liest einen Haufen Schlagzeilen, die alle sagen: 'Der US Big Brother schaut auf dich herab' ..."
- versteh' das jetzt nicht falsch, kleiner Durchschnittsdepp, das soll nicht herablassend klingen, aber wir müssen nun mal von oben auf dich herabschauen, sonst wären wir ja keine Geheimdienst-Szene.
"... 'und kassiert alle Aufzeichnungen deiner Telefongespräche etc.', ..."
- my god, was lässt du dich auch so verrückt machen von all den hysterischen Schlagzeilen? Aber don't worry, be happy, der gute Onkel kann deine Besorgnis nachvollziehen:
"... nun, verständlicherweise beunruhigt das die Leute."
Ah, jetzt fühlst du dich schon besser, nicht wahr?
"Ich wäre auch beunruhigt ..."
Ah, Balsam, das tut deiner geschundenen kleinen Durchschnittsdeppenseele gut, doesn't it? Wenn ich dir nicht nur sage, dass ich dich verstehe, sondern auch noch beteuere, dass ich an deiner Stelle genauso beunruhigt wäre! Wäre, wohlgemerkt, denn so wie die Dinge liegen -
"Ich wäre auch beunruhigt, wenn ich nicht in der Regierung wäre."
- habe ich keinerlei Grund zur Beunruhigung, weil, verstehst du, ich bin drin und du bist draußen, und wer drin ist, hat Vertrauen:
"Darum habe ich Vertrauen in diese (Überwachungs)Programme."
Logisch, oder? Wer zur Geheimdienst-Szene gehört, hat Vertrauen. Wer nicht zur Geheimdienst-Szene gehört, hat Pech gehabt. Zwar kann ich, weil ich ein guter Onkel bin, das mit dem fehlenden Vertrauen nachvollziehen, aber dulden kann ich es nicht, oh nein, keinesfalls:
"Aber das reicht nicht. Das amerikanische Volk muss, genau wie ich, Vertrauen in sie (die Überwachungsprogramme) haben."
Ist das angekommen, Durchschnittsdepperl? Ich. Will. Dein. Vertrauen. Her damit. Keine Widerrede. Du musst Vertrauen haben. Erstes Gebot im neuzeitlichen Polizeistaat mit hohem Wohlfühlfaktor.
"Die Frage ist: Wie kann ich erreichen, dass das amerikanische Volk sich wohler fühlt?"
Was hast du da eben hinter vorgehaltener Hand geflüstert, '... indem du aufhörst, hinter uns her zu spionieren'? Jetzt hör mal gut zu, kleiner Durchschnittsdepp, so etwas will ich nicht noch einmal hören, hörst du? Hast du das gehört? Ich will das nicht hören. Ich will, dass du dich wohlfühlst. So wie ich. Sieh mich an: Ich fühle mich sauwohl.
"Ich fühle mich wohl und voller Zuversicht, dass das Programm zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht missbraucht wird."
Und jetzt alle, bitte. Mir nach. Einfach mir nachsprechen. Das kann doch nicht so schwer sein.
Ich habe Vertrauen.
Also hast auch du Vertrauen zu haben.
Ich fühle mich wohl.
Also hast auch du dich wohlzufühlen.
Ich rede mit dir wie mit einem Durchschnittsdeppen.
Also hast du dich wie ein Durchschnittsdepp zu fühlen.
Ich lächle.
Also hast auch du zu lächeln.
Lächeln, habe ich gesagt, hörst du?




Mittwoch, 14. August 2013

Neues aus Absurdistan


Oh, wie ich das liebe.

Ich liebe liebe liebe es!

Den Gaul vom Schwanz aufzuzäumen.
Die Dinge vom Kopf auf die Füße zu stellen.
Um dann alles wieder auf den Kopf zu stellen.

SINCERIDAD SINCERITY cortometraje shortfilm from Andrea Casaseca Ferrer on Vimeo.

Absurdity rules.

Montag, 12. August 2013

Deutsch, aber unschuldig


Eine Hand wäscht die andere ...
Deutschlands internationaler Geheimdienst hat zugegeben, Mobilfunk-Nummern von Terrorismus-Verdächtigten an seine ausländischen Partner weitergegeben zu haben.
... um sich die Hände in Unschuld zu waschen:
Ein Vertreter (der Behörde) bestritt, dass die Weitergabe dieser Information zu von US-Drohnen getöteten Menschen geführt haben könnte.
Wir haben von nichts gewusst.

Wenn wir das gewusst hätten:
Trotz des Leugnens solcher Anschuldigungen seitens des BND betonen Experten, dass allein eine Telefonnummer ausreiche, um einen Verdächtigten zu lokalisieren. Beispielsweise teilte Hannes Federrath, Professor für Informatik in Hamburg, der SZ mit, dass über einen längeren Zeitraum gesammelte Daten genau zu diesem Zweck benutzt werden können.
Aber es hat uns ja keiner etwas gesagt.

Sonntag, 11. August 2013

Taxi!


Ha ha ha.
Der Hammer.
Der Hammer im Tüten.
In norwegischen Tüten.

Ich meine, kann sich ein Mensch Angela Merkel im Taxi vorstellen? Also, nicht hinten, sondern vorne? Auf dem Fahrersitz? Sie rufen ein Taxi, steigen ein, denken: hoppla?, werden von der Bundeskanzlerin chauffiert und können mit ihr einen netten Plausch halten über Gott, die Welt und ihre Politik? Einfach so, ganz locker? Und die hört Ihnen zu und gibt Ihnen Antworten, richtige Antworten, keine blöden ausgestanzten Flatusen? Und redet wie ein ganz normaler Mensch mit Ihnen wie mit einem ganz normalen Menschen? Ha!, geben Sie's zu, Sie kriegen Darmverschlingungen bei der bloßen Vorstellung, mit Angela Merkel im Taxi sitzen und Smalltalk machen zu müssen. Dann lieber zu Fuß von einem Ende der Stadt zum anderen. Oder drei Stunden aufs nächste Taxi warten. Oder nie im ganzen Leben mehr ein Taxi besteigen. Von wegen traumatisiert.

Gut, Wahlkampf ist Wahlkampf, da gibt halt jeder sein Bestes, auch der norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg muss sich was einfallen lassen, aber bitte, immerhin lässt er sich etwas einfallen, nölt sich nicht kuhäugig von einem Mikrofon zum nächsten, um dann in irgendeiner volksfernen Versenkung zu verschwinden, sondern macht den Taxifahrer und zieht das Ding durch und die Leute amüsieren sich wie Bolle und er auch, so richtig zum Anfassen - ich meine, können Sie sich vorstellen, tröstlich Frau Merkels Hand zu tätscheln und sie mitfühlend zu fragen: "Haben Sie jetzt den Beruf gewechselt?"

Können Sie nicht, geben Sie's zu.







Samstag, 10. August 2013

Rassistengulasch


Ein Lichtblick.

Unter der mutmachenden Parole "Rassisten aller Länder zerfleischt euch" wurde der griechische Neonazi Ilias Kasidiaris (Golden Dawn) einem strengen racial profiling unterzogen. Von wem? Von der amerikanischen Neonazigruppierung Stormfront. Deren Erkenntnisfrage lautete: Ist Kasidiaris wirklich ein Weißer?

Befund des Persönlichkeitsprofils nach rassischen Kriterien: vernichtend - eine bastardisierte Mischung aus allem möglichem, jedenfalls kein reinblütiger Weißer und damit komplett unten durch.
Ist er ein weißer Europäer?
Er hat eine gewisse afrikanische Beimischung.
Er scheint keine typisch griechischen oder europäischen Merkmale zu haben.
Er sieht eher aus wie ein hellhäutiger brasilianischer Mulatte.
Er sieht aus, als ob er einiges negroides Blut in sich trägt.
Er könnte einen Zigeuner oder Türken im Stammbaum haben.
Er ginge als afrikanischer Berber durch.
Er sieht nordafrikanisch aus.
Ich würde nicht wollen, dass einer mit so einem Aussehen irgendeine Frau aus meiner Familie heiratet.
Ein vernichtender Befund für einen wie Kastidiaris, der Menschen aus den zitierten Ländern gern als "Untermenschen" bezeichnet und großen Wert auf die Feststellung legt, dass "griechischem Blut klar zu unterscheidende Qualitäten" innewohnen.

Es besteht Hoffnung. Solange der Verfolgungswahn, unter dem Rassisten aller Couleur schwer zu leiden haben, im eigenen Stall ausgelebt wird, ist noch nicht alles verloren.

Bitte weiter so.

Ein' feste Wagenburg ist unser Land


Man hat sich ja an einiges gewöhnt in Griechenland.

Es reißt niemanden mehr vom internationalen Menschenrechtshocker, wenn mal wieder reinrassige Griechen bevorzugt - sei es bei der wohltätigen Vergabe von Lebensmittelpaketen oder der erzwungenen Herausgabe von Daten über Herkunft, Rasse und korrekter Blutgruppenzugehörigkeit in Kindergärten und Schulen - und im Gegenzug Immigranten und Asylanten in Massenlager deportiert werden.

Ist halt so in Griechenland. Ist ja auch ein leidgeprüftes Land, so von wegen Krise und Armut und "Rekord"arbeitslosigkeit (aktuell 65 Prozent bei Menschen unter 25, kräht auch kein Hahn mehr danach) und kaputte Wirtschaft und hohe Kriminalität und Perspektivlosigkeit und nach oben schnellende Suizidrate und all das Elend. Ist halt ein Nährboden für rassistische Auswüchse und faschistischem Parteinachwuchs, was soll man machen, typisches Krisensymptom, irgendwie. Ist halt so in Griechenland.

Aber völlig undenkbar in einem Land, das zu den reichsten der Welt (Platz 6) zählt, mit einer der niedrigsten Arbeitslosigkeitsraten (2,9 Prozent), einer der niedrigsten Einwanderungsraten (1,27 Immigranten pro 1.000 Einwohner), der niedrigsten Kriminalitätsrate der Welt und den höchsten Bergen Europas, über die sowieso kaum ein ausländischer Flüchtling kraxeln kann.

Doch was ist zu hören? Wohlstand schützt vor Apartheid nicht:
Segregation: Schweizer Städte sperren Asylanten aus bestimmten Zonen aus
Flüchtlinge dieser Welt, ihr müsst leider draußen bleiben. Kein Zutritt zu öffentlichen Schwimmbädern und Sportanlagen. Schulhöfe werden zu "Sperrgebieten" erklärt, ebenso Kindertagesstätten, Gemeindehäuser, Kirchplätze, Altenheime, Bibliotheken sowie Spielbanken(!). Natürlich haben sie in der Schweiz nicht "Sperrgebiete", sondern "sensible Zonen" aufgelistet, 32 insgesamt. Eine 33. sensible Zone ist bereits in der Diskussion, berichtet die Neue Zürcher Zeitung: In Luzern sind Kommunalpolitiker der Ansicht, Asylbewerber hätten in Restaurants nichts verloren. Im Kanton Obwalden planen die Stadtoberen, "störende Personen" aus sensiblen Stadtvierteln auszusperren. Und in den nahegelegenen sensiblen Wald dürfen sie auch nicht, die störenden Asylanten.

Apartheid, böses Wort. Hat doch alles gar nichts mit Apartheid zu tun, beteuern Schweizer Politiker. Womit dann? Reine Sicherheitsmaßnahmen, sonst nichts:
"Aus Sicherheitsgründen haben wir beschlossen, diese Zonen zu sperren, um potentielle Konflikte zu verhüten und um in erster Linie Drogenkonsum zu verhindern."
Konfliktverhütung Swiss-Style? Geht so:
Es soll vermieden werden, dass "50 Asylbewerber, alle auf einmal, ein Fußballspiel oder ein Schwimmbad besuchen".
Man beachte die sensible Sprache - "ein Schwimmbad besuchen", hat er gesagt, nicht "über ein Schwimmbad herfallen"; denn schließlich, sagt der Bürgermeister von Bremgarten weiter,
"Wir sind nicht inhuman", 
vielmehr ginge es lediglich darum,
"sich öffentlichen Besorgnissen anzupassen".
 - sowie darum, Bedingungen für ein friedliches Miteinander zu schaffen:
"Diese sensiblen Zonen haben wir ausgegrenzt im Interesse eines friedlichen Zusammenlebens zwischen der Gesellschaft und den Asylsuchenden*."
Sensibler Klartext. Ausgesprochen vom Fachmann für innere Sicherheit, Urs von Däniken, "Ex-Spion auf heikler Mission", früherer Chef des Schweizer Inlandgeheimdienstes und heute beim Bundesamt für Migration unter Vertrag.

Liebe Asylanten!
Wenn ihr nun schon mal hier bei uns seid, dann tut wenigstens was für ein reibungsloses Zusammenleben mit der Bevölkerung und haltet euch bitte fern von allen 32 sensiblen öffentlichen Zonen, im Interesse der öffentlichen und inneren Sicherheit sowie im Interesse der Gesellschaft, zu der ihr erklärtermaßen* nicht gehört. Nur so vermeidet ihr potentielle Konflikte. Wenn ihr unbedingt Fußball spielen wollt, könnt ihr das ja in irgendeinem abgelegenen Wald tun, vorausgesetzt, wir haben diesen noch nicht zur sensiblen Zone erklärt. Kann aber noch kommen, solltet ihr in 50-Mann-Stärke über unsere geschützten Waldgebiete herfallen, die wir schützen müssen aus Sicherheitsgründen, um euren Drogenkonsum zu verhindern und um uns den öffentlichen Besorgnissen anzupassen.

P.S.: Wir sind nicht inhuman. Wir finden bloß, dass ihr stört.

Donnerstag, 8. August 2013

Der Feind weilt unter uns


Na bitte. Da haben wir's. Der Terrorismus droht. Der Terrorismus naht. Er kommt immer näher und ist schon ganz nahe, zum Greifen nah, und wenn wir uns nicht schleunigst gegen ihn, den Feind im Innern, bewaffnen, ähm, wappnen, dann wird er zuschlagen mit gefährlichen Waffen, mit biologischen, chemischen, radiologischen Kampfstoffen, mit Sprengstoff, ja, sogar mit Selbstmordattentaten, und selbst vor Geiselnahmen wird er nicht zurückschrecken, der bedrohliche Feind in den eigenen Reihen.

Vergesst unser Geschwätz von gestern, von Al Qaida und all dem uns von außen bedrohenden Gelichter. Die wahre Brutstätte des Terrorismus seid ihr, Bürger dieses freien Landes, jedenfalls diejenigen unter euch, die zivilen Ungehorsam als Bürgerrecht fehldeuten statt ihn - wie wir es tun - als eine potentiell terroristische Straftat zu identifizieren.
In einem Antrag auf Bundeszuschüsse zählt die Polizei von Concord (der Hauptstadt von New Hampshire, Amerika) gewaltfreie Gruppen zu inländischen Terrorbedrohungen. 
"Aufgrund seiner Erfahrungen mit Terrorismus sieht der Bundesstaat New Hampshire die Gefahr vorrangig vom inländischen Typus des Terrorismus ausgehen", heißt es in dem Antrag. "Wir haben Glück, dass unser Bundesstaat bislang noch von keinem Anschlag des internationalen Terrorismus mit Massen von Opfern heimgesucht wurde. Allerdings ist die Bedrohung an der inländischen Front real und existent. Gruppen wie Sovereign Citizens, Free Staters und Occupy New Hampshire sind aktiv und stellen eine tägliche Kampfansage dar."
Eine Kampfansage, der wir hiermit entschieden den Kampf ansagen. Mit allen Mitteln. Und dazu brauchen wir Mittel. Und deshalb schnorrt die Polizei von Concord das Department of Homeland Security (DHS) um Geld an, um sich gegen die terroristische Bedrohung vor der eigenen Haustür zu bewaffnen, ähm, zu wappnen, also jedenfalls sich zu militarisieren.
In einem Antrag an das Department of Homeland Security (DHS), wo um über 250.000 Dollar ersucht wird für den Kauf eines gepanzerten Polizeifahrzeuges, benennt die Hauptstadt von New Hampshire den lokalen Ableger der Occupy Bewegung sowie das Free State Project - eine Initiative, um "freiheitsliebende Menschen" zur Umsiedelung nach Granite State (anderer Name für New Hampshire) zu bewegen - als potentielle Brutstätten von terroristischen Aktionen. 
Wie ernst wir die terroristische Gefahr aus dem nahen Umfeld nehmen, lässt sich erkennen an der absolut ernstzunehmenden Ausstattung des Kampffahrzeuges, auf das unser Polizeichef sein begehrliches Auge geworfen hat:
In dem Antrag der Stadt wird betont, das Fahrzeug - ein Lenco BearCat G3 - eigne sich zum Einsatz gegen terroristische Attentate, in denen "chemische, biologische und radiologische Stoffe ebenso verwendet würden wie Sprengstoff" sowie gegen "Selbstmordanschläge und Geiselnahmen". 
Entschieden tritt der Polizeichef jedoch allen Behauptungen entgegen, bei dem gepanzerten Kampffahrzeug handele es sich um einen Panzer: Sollten sich mal bloß abregen, all die hysterischen Leute, hat er gesagt, er habe keinen Panzer bestellt, sondern lediglich
"eine unbewaffnete gepanzerte Schachtel auf Rädern (box of armor on wheels)"
- also bitte, von Sichbewaffnen kann keine Rede sein, allenfalls von Sichwappnen, und zwar mit einem ausschließlich defensiven Zwecken dienenden militärischen Einsatzfahrzeug. Schließlich müsse die Stadt gegen den aufziehenden Terror verteidigt und die Sicherheit der braven Bürger gegen die Massenvernichtungsattacken der bösen Bürger geschützt werden.

Irgendwie kam jedoch die Sache mit der Terrorbedrohung aus der Bürgerschaft nicht so besonders gut an bei der Bürgerschaft von Concord. War für unseren smarten Polizeichef aber kein Problem. Der hat sich einfach öffentlich auf die Zunge gebissen, sich ein wenig zerknirscht gezeigt
"Im Rückblick wünschte ich, ich hätte das anders formuliert, ..."
- und gemeint, er hätte das alles gar nicht so gemeint,
... gemeint sei vielmehr gewesen der Bezug auf die "unberechenbare Natur von unberechenbaren Leuten, die sich mit ansonsten rechtmäßigen Situationen in Verbindung bringen".
Hat er das nicht toll formuliert im zweiten Anlauf, unser fabelhaft fabulierender Polizeichef? Einfach einen Satz in den luftleeren Raum gehängt mit einem dermaßen unberechenbaren Sinngehalt, dass sich von Stund' an praktisch jeder Bürger des berechenbaren Terrorismus verdächtigt fühlen muss. Genial, oder? Weil, genau darum geht es ja letztendlich, dass jeder Bürger die Hosen voll hat, sich nicht mehr aus dem Haus traut und eigentlich die Viertelmille für das gepanzertes Polizeifahrzeug eine völlig überflüssige Ausgabe wäre.

Obwohl.

Völlig überflüssig ist der gepanzerte Nichtpanzer natürlich nicht. Im Gegenteil. Weil, unser Polizeichef ist, um es allgemeinverständlich auszudrücken, richtig scharf auf das neue mobile Kampfteil. Der kann es kaum abwarten, bis er endlich in seiner box of armor on wheels sitzen und - rrömm-rrömm! - durch den Kugelhagel seiner terrorgeilen Bürger donnern darf.
"Junge, darin fühle ich mich richtig komfortabel, wenn draußen die Hochleistungsgewehre zugange sind."
Rrömm! Junge, Junge, das geht ab, das röhrt, das fühlt sich einfach saugut unterm Hintern an, das Ding muss her. Außerdem hat der Oberbulle von Washington DC bereits so einen Mörderschlitten, ist doch wohl klar, dass unser Polizeichef dann auch einen braucht, mindestens genauso groß wie der von dem, wenn nicht noch länger. BearCat G3, boah, allein schon der Name!

Das Kriegsspielzeug wird gekauft, so viel steht fest. Das DHS hat das Verlangen des Polizeichefs bewilligt und rückt die Kohle gerne raus. Die Stadtverwaltung von Concord steht geschlossen hinter dem Antrag. Unser Polizeichef sagt, die Bürger sollen sich mal nicht so anstellen, das sei gar kein Kriegsspielzeug, sondern lediglich
"... ein Werkzeug wie jeder andere Ausrüstungsgegenstand, und all diese Werkzeuge haben ihren angemessenen Verwendungszweck", 
- so wie Polizeipferde, Polizeihunde, Polizeimotorräder, Gummigeschosse, Wasserwerfer und Pfefferspray ihren angemessenen Verwendungszweck haben. Dienen allesamt der Abwehr terroristischer Bedrohungen aus der Bevölkerung. Zum Schutze der Bevölkerung. Dienen allesamt der Einschüchterung der Bevölkerung. Zum Schutze der Bevölkerung. Rrömm! Und natürlich als Spielzeug. Aber nie und nimmer als Kriegsspielzeug. Weil, Krieg gegen wen? Krieg gegen die eigene Bevölkerung? Nur weil wir von der
"realen und existenten Bedrohung an der inländischen Front" 
gesprochen haben?

War nicht so gemeint. Wird uns künftig nicht mehr rausrutschen. Und jetzt lasst uns in Ruhe. Wir wollen doch nur mit euch spielen. Rrömm!

Mittwoch, 7. August 2013

Singen verboten. Zuhören auch.


Heute schon einen Protestsong gehört? Wie, Sie finden Protestsongs albern, kitschig, vorgestrig, unmodern, peinlich, unzeitgemäß, weil irgendwie aus der Zeit gefallen? Ist es so? Warum dann nicht einen vorgestrigen, unmodernen, unzeitgemäßen Protestsong einfach in die Zeit zurück fallen lassen? In welche Zeit, fragen Sie? Na, in die heutige Zeit. Können Sie sich nicht vorstellen? Muss an Ihnen liegen. Andere Leute können sich das gut vorstellen. Nicht nur das - sie holen die alten Klamotten aus der Mottenkiste raus, klopfen den Staub ab und singen, was das Zeug hält. Ob Ihnen das gefällt oder nicht. Verstehen Sie? Die tun das einfach.

Stellen sich einfach ins Regierungsgebäude eines amerikanischen Bundesstaates und schmettern drauflos. Weil sie finden, einem ordentlichem Protestsong gebührt ein repräsentativer Rahmen. Und weil im Capitol von Wisconsin der Halleffekt besonders eindrucksvoll ist. Was die da singen, fragen Sie? Ha, jetzt sind Sie doch neugierig geworden, nicht wahr? Die singen das hier:
Wacht auf, Verdammte dieser Erde!
Ja, jetzt zieht es Ihnen die Schuhsohlen runter vor lauter aus der Zeit gefallener Peinlichkeit, gell? Wie kann man nur, ächzen Sie entnervt? Tja. Man kann:



Tolle Akustik in dem pompösen Herrschaftsbau, müssen Sie zugeben, oder? Volle Power. Oder haben Sie gleich wieder abgeschaltet, weil der altbackene Polit-Singsang Ihnen unerträglich war? Ihr Pech. Hätten Sie mal wenigstens bis 0:35 min. durchgehalten, da geht's ab, sage ich Ihnen, voll die Action! Und jetzt fragen Sie, wieso dieser Typ verhaftet wurde? Obwohl der doch bloß ein Protestschild hochgehalten hat? Mein Lieber, wenn hier jemand aus der Zeit gefallen ist, dann sind Sie es! Protestschild hochhalten ist ein Verhaftungsgrund, wussten Sie das nicht? Hinter welchem Mond leben Sie denn?

Um Ihnen mal in die Schuhe der modernen Gegenwart zu helfen, Sie zeitfremder Träumer: Wer an den täglich um 12 Uhr im Capitol von Wisconsin stattfindenden Protestsong-Happenings ("Solidarity Sing Along") teilnimmt, der nimmt an einer illegalen öffentlichen Aktion teil. Illegal, wieso das denn? Mann, Sie haben es immer noch nicht gerafft: Wenn sich mehr als 20 Leute in der Öffentlichkeit versammeln, dann ist das illegal. In Wisconsin. Jedenfalls, wenn die sich versammeln um zu singen. Dann wird verhaftet. Klar?

Was haben Sie grade gesagt? Dann sollen die Leute halt nicht mitsingen und keine Protestschilder hochhalten, dann werden sie auch nicht verhaftet? Ach, so einer sind Sie. Einer, der prophylaktisch gehorcht, weil, wer nichts Falsches tut, hat auch nichts Schlimmes zu befürchten. Ist es so? Gut, Sie geben es immerhin zu, wie weit Sie bereits aus der Zeit gefallen sind. Und Sie meinen, man könne ja trotzdem in der Mittagspause ins Capitol gehen, natürlich nicht als Teilnehmer und Mitsinger, sondern bloß so zum Zuhören und Zugucken, damit man hinterher im Büro erzählen kann: Ey, ich war bei den komischen Typen mit den komischen Protestsongs!

Falsch, Träumerlein, ganz so einfach machen sie es Ihnen nicht. Weil, die Chancen stehen gut, dass Sie hinterher nicht in Ihrem Büro, sondern im Knast landen. Wie, was gucken Sie jetzt so ungläubig? So was könne es ja gar nicht geben, in der heutigen Zeit? Sich hinstellen, bloß zugucken, nichts Falsches tun und dafür verhaftet werden? Ja, wo gibt's denn so was? In Wisconsin. Können Sie sich nicht vorstellen? Muss an Ihnen liegen. Andere Leute können sich das gut vorstellen. Seit ein paar Tagen. In Wisconsin:



Ja meine Güte, fragen Sie erschüttert, wo leben wir denn? 

In der heutigen Zeit. Wach auf, Verdammter dieser Erde.


Montag, 5. August 2013

Häuser räumen, Heime bauen


Wieder mal schlechte Nachrichten aus Griechenland.

Die griechische Regierung kündigt zum 1. Januar 2014 Zwangsräumungen an.

Zwar sind seit 2008 Zwangsräumungen von Häusern verboten, die als Hauptwohnsitz genutzt werden und einen Wert von 200.000 Euro nicht übersteigen - gewissermaßen zum Schutz der sogenannten 'kleinen Leute'. Und eigentlich war von der Troika vorgesehen, das Zwangsräumungsverbot Ende 2012 aufzuheben;  denn schließlich muss es ja vorangehen in Griechenland, dem Land, das sich laut Schäuble "auf dem richtigen Weg" befindet und dessen Weg erst dann am Ziel angelangt ist, wenn der Karren endgültig in den Dreck gefahren sein wird. Wohlgemerkt, der Karren der 'kleinen Leute'.

Doch dann zeigte sich die griechische Regierung "schockiert" angesichts der Suizidwelle, die Spanien überzog, nachdem zahlreiche Hausbesitzer - allesamt 'kleine Leute' - ihre Häuser durch Zwangsräumung verloren hatten. Die Troika - bekanntlich Freund und Helfer der 'kleinen Leute' - ließ sich von der menschlichen Tragödie erweichen und genehmigte eine Verlängerung des griechischen Zwangsräumungsverbotes. Allerdings dürfe die Gnadenfrist keinesfalls länger andauern als bis zum 31. Dezember 2013, danach müsse der menschlichen Tragödie - ergo dem Zugriff der Banken auf die geräumten Immobilien - endlich der Weg frei gemacht werden; der richtige Weg, wohlverstanden.
Aufgrund des immensen Drucks seitens der Kreditgeber des Landes - der Troika (die ihrerseits unter dem immensen Druck seitens der Banken steht) - kündigte die griechische Regierung die schrittweise Aufhebung des Verbotes von Zwangsräumungen an bei Menschen, die außerstande sind, ihre Hypothek zu bezahlen.
- also bei Menschen, die aufgrund von Arbeitslosigkeit, Lohnkürzungen, Steuererhöhungen und Rentenstreichungen außerstande sind, die Hypothek auf das einzige zu bezahlen, was ihnen noch geblieben ist.

Nun steht die griechische Regierung vor der heiklen Aufgabe, jene menschliche Tragödie zu managen, die von der Troika so zielstrebig wie ergebnisorientiert eingeleitet wurde. Was tun, nachdem die Häuser geleert und die Straßen gefüllt sein werden mit immer mehr wohnungslosen Menschen, von denen wiederum immer mehr zu dem Schluss kommen, dass sich etwas Besseres als der Tod nirgends finden lässt? Noch drängender: Wie jener imageschädigenden Wirkung gegensteuern, die der heranrollenden Massenobdachlosigkeit und neuerlichen Suizidwelle auf dem Fuße folgen wird?

Mut machen in harten Zeiten, heißt die Devise. Wie macht man einem verzweifelten, von Obdachlosigkeit bedrohten, suizidgefährdeten Volk Mut? Indem man ermutigende Zeichen setzt.

Und damit zu den guten Nachrichten aus Griechenland:
Ermutigende Zeichen aus den Obdachlosenasylen Athens
Ein neues Wohlfahrtsprogramm der Stadt Athen zielt darauf ab, den Menschen zu helfen und das Image der Hauptstadt zu verbessern
Neue Heime für wohnungslose Athener werden gebaut. Die Stadt, heißt es, habe die Zeichen der Zeit erkannt. Sie gehe mutigen Schrittes voran, um die Menschen zu ermutigen und das Image der Stadt zu verbessern, indem sie die Menschen ermutige, sich von der Straße ins Obdachlosenheim zu entfernen und damit das schmuddelige Stadtbild zu verbessern. Sie nennt dies einen "Wechsel in der Philosophie der Wohlfahrtspolitik".

(Lalaounis ist das teuerste Juweliergeschäft in Athen.)

Raus aus den Häusern, weg von der Straße, rein in die Heime.
Ich bin immer noch auf der Suche nach einem Namen für die philosophische Richtung, aus der der Wind weht.

Und jetzt alle



Positiv sollst du deine Woche beginnen.

Sonntag, 4. August 2013

So sweet



Wenn mir ein Thema am Herzen liegt, dann sind es Brombeeren. Deshalb hat das Thema Brombeeren auf diesem Blog ein eigenes Tag bekommen. Erstens weil ich Brombeeren liebe, zweitens weil selbstgemachte Brombeermarmelade der Burner ist, drittens weil selbstgemachte Brombeermarmelade aus selbstgepflückten Brombeeren der absolute Burner ist, und viertens, weil jedes Jahr beim Brombeerpflücken irgendwas passiert, woran ich noch lange später denke. Und zwar mit Gewinn.

Nichtbrombeerpflückern sei gesagt, dass heuer eine Bombenbrombeersaison angebrochen ist, wegen der Hitzewelle, dann ein paar Tage Starkregen und jetzt eine neuerliche Hitzewelle. Brombeeren lieben das. Sie explodieren förmlich aus dem sperrigen Dornengebüsch heraus. Sie hängen üppig an schweren Zweigen, in riesigen Dolden, schimmern dem Pflücker schwarz, satt und fett entgegen, so dass die übliche brombeerpflücktechnische Schinderei, die zwangsläufig in ein blutiges Kratzerdesaster am ganzen Körper mündet, sich dieses Jahr in engen Grenzen hält. Dieses Jahr wachsen die Brombeeren einem förmlich ins Maul.


Frühmorgens ist die beste Zeit zur Ernte. Die Luft ist noch schön frisch, während die schwarzen Beeren bereits von der Morgensonne aufgeheizt wurden. Die erste dieser vollreifen, sonnengewärmten Früchte in den Mund zu schieben ist jedes Mal eine kleine geschmackliche Sensation. Sachte gegen den Gaumen gedrückt, macht sich zunächst nichts als eine süße, schmeichelnde Wärme breit; kurz darauf setzt der fruchtige Säureschock ein. Beides zusammen ergibt im Mund eine unvergleichliche Reaktion. So was schaffen nur Brombeeren.

Danach setzt die Gier ein, die nackte Gier auf nicht bloß eine, sondern den ganzen Mund voll Brombeeren, handvollweise, denn man braucht ja nur die Hand auszustrecken, mit allen fünf Fingern sachte an den riesigen Dolden zu zupfen, die Beeren lösen sich widerstandslos, gleiten in die unzerkratzte Hand und von der Hand in den Mund und die große Sensation nimmt ihren Lauf. Solange der Mund voll ist, fallen die gezupften Früchte handvollweise in den Spankorb, der sich im Handumdrehen füllt, und allein dieser Anblick fetter, schwarz schimmernder, sich im Korb häufender Brombeeren in der frühen Morgensonne macht den Tag zu meinem Tag.


Heute früh war mein erster Spankorb schon fast voll, mein Kopf hing konzentriert und mit vollem Mund über einem Prachtexemplar von Dolde, da hörte ich ein schneidig schnurrendes Geräusch sich nähern. Es näherte sich schnell, so dass mir gar keine Zeit blieb mich umzudrehen. Das Geräusch schnurrte von rechts in einem rasanten Bogen um mich herum und verstummte abrupt: Links neben mir war ein Rollstuhl zum Stillstand gekommen. In dem Rollstuhl saß ein alter Mann. Er nickte mir freundlich zu und begann Brombeeren zu pflücken.

Er tat dies mit geübten Griffen und stets in der gleichen Abfolge: Zuerst streckte er den rechten Arm aus ins Gebüsch, zupfte eine Brombeere, ließ sie von der rechten in die linke Hand gleiten, schob sich mit der linken Hand die Brombeere in den Mund, und während die linke Hand die Frucht in  den Mund schob, streckte er synchron den rechten Arm von neuem aus, zupfte, übergab die Frucht der linken Hand, schob sie sich in den Mund und immer so fort in einem faszinierend routinierten Rhythmus. In dem alten Gesicht lag ein Ausdruck höchster genießerischer Verzückung.

Reflexhaft hielt ich dem Mann meinen vollen Spankorb entgegen und bot ihm an, sich der gepflückten Brombeeren zu bedienen. Zögernd öffnete er seine rechte Hand. Ich füllte sie mit Brombeeren. Er schob sich die Früchte in den Mund, kaute andächtig, schaute irgendwie versonnen in meinen Korb, so dass ich ihm noch eine Handvoll anbot. Da hob er höflich ablehnend seine Hand, lächelte breit und sagte in gebrochenem Deutsch: "Ist süßer, wenn allein!", streckte die Hand erneut ins Gebüsch aus, um weiterhin eigenhändig eine Brombeere nach der anderen zu zupfen und zu genießen.

Nach einer Weile fing es wieder an zu schnurren, der alte Mann steuerte sein Gefährt zum nächsten Gebüsch, das Schnurren verstummte, der Mann zupfte, drehte den Kopf noch einmal zu mir zurück, lachte und rief: "Ist viel süßer so, verstehn?"

Ja. Ich verstand. Voll und ganz. Weil der alte Mann genauso tickt wie ich: Selbstgepflückte Brombeeren sind nun mal der Burner. Nur dass er halt im Rollstuhl pflückt und ich im Stehen. Würde ich mich etwa freuen, wenn mir, mitten im Rausch des Brombeerenpflückens, jemand Wildfremdes eine Handvoll gepflückter Brombeeren anböte? Eben.
Ist viel süßer, wenn allein.

Natürlich kann man sich die ganze Mühe auch sparen, in den klimatisierten Supermarkt gehen und eine 200-Gramm-Schale Brombeeren für 1,89 Euro kaufen. Aber erstens begegnet man keinen ungewöhnlichen Menschen, und zweitens, drittens, viertens,
ich schwöre es: Ist süßer, wenn allein.


Samstag, 3. August 2013

Neues Lagerdenken


Mich beschäftigt die Frage: Woran ist Faschismus zu erkennen?

Bestimmt nicht daran, dass eines Tages Horden von schwarzen Stiefeln durch die Straßen knallen, an die Tür meines dunkelhäutigen/homosexuellen/arbeitslosen/behinderten Nachbarn klopfen und ihm befehlen: Los, Sie kommen jetzt mit ins Arbeitslager, und dann nehmen die schwarzen Stiefel meinen Nachbarn mit, und ich höre und sehe nie wieder etwas von ihm und ziehe daraus den Schluss, dass irgend etwas Faschistisches im Gange sein muss.

Weil, er wäre ja blöd, der Faschismus, wenn er so in seinen schwarzen Stiefeln mitsamt der Tür ins Haus fallen würde und alle würden es mitkriegen. Obwohl er es ja damals in Deutschland genauso gemacht hat und keiner hat etwas mitgekriegt. Angeblich. Oder wie auch immer.

Allerdings war der Faschismus auch damals nicht so blöd, von jetzt auf gleich mit der Tür ins Haus zu fallen, sondern hat sich gedacht: immer schön langsam, eins nach dem andern, peu à peu die Schraube anziehen, und wenn die Leute sich erst mal dran gewöhnt haben, klappt der Rest wie von selbst. Hat ja dann auch geklappt. Grade weil der Faschismus erst mal auf Samtpfoten daherkam, bevor er sich die schwarzen Stiefel überzog.

Samtpfoten hieß so viel wie: Wir wollen doch nur euer Bestes. Wir wollen euch ja nur zeigen, wo's lang geht. Wir wollen euch helfen, in die Spur zu kommen. Weil ihr das ja von allein offenbar nicht schafft. Also wollen wir ein bisschen nachhelfen. Besonders denjenigen, denen nur schwer zu helfen ist. Solltet ihr euch allerdings unseren Hilfsangeboten so dauerhaft und halsstarrig widersetzen, dass wir zu dem Schluss kommen, dass euch gar nicht mehr zu helfen ist, dann müssen wir ein bisschen mehr nachhelfen. Und ein wenig härter durchgreifen. Natürlich nicht von jetzt auf gleich. Sondern erst später. Dann, wenn alle anderen gemerkt haben, dass euch anders nicht zu helfen ist. Dann gehen wir zur Sache. Weil wir bis dahin alle anderen so weit gekriegt haben werden, dass die das ganz normal finden, das mit dem Helfen. Vor allem, wenn wir denjenigen helfen, denen sonst nur schwer zu helfen ist. Das nennen wir dann Umerziehen, und alle finden das ganz normal.

Aber, wie gesagt, peu à peu. Nichts überstürzen.

In England zum Beispiel sind seit geraumer Zeit die Samtpfoten unterwegs. Manchmal sind sie ziemlich unangenehm laut, die Samtpfoten, aber Stiefelknallen? Keine Spur. Wozu auch? Funktioniert ja auch so. Auf Samtpfoten.

Jetzt haben die Samtpfoten ein neues Programm aufgelegt. Sie nennen es
"Hilfe für diejenigen, denen am schwersten zu helfen ist". 
- und meinen damit ein sogenanntes Arbeitsprogramm ("Work Programme"), das speziell auf behinderte arbeitslose Menschen zugeschnitten ist und sich zum Ziel setzt, diese behinderten Menschen fit für den Arbeitsmarkt zu machen ("fit for work"). Das Programm "Fit for Work" gibt es zwar bereits seit einiger Zeit, wurde jedoch bislang nicht von dem erwünschten Erfolg gekrönt, denn ein Konzept, das behinderte Menschen fit zum Arbeiten machen will, stößt gewissermaßen an natürliche Grenzen, drum musste etwas Neues her.

Das Besondere an dem neuen Hilfsangebot für behinderte arbeitslose Menschen ist, dass es sich um ein "Residential Training" handelt, also um eine Trainingsmaßnahme, die in einer speziell dafür geschaffenen Einrichtung stattfinden soll, in der die Teilnehmer wohnen, leben und für den Arbeitsmarkt trainiert werden.

Die Dauer des Arbeitstrainings ist (bislang) auf ein Jahr veranschlagt; der behinderte Mensch wird somit ein Jahr lang fernab seines Wohnorts, seiner (eventuell behindertengerecht eingerichteten) Wohnung, seiner (ihn eventuell pflegenden) Angehörigen oder Freunde, seiner (ihn betreuenden und behandelnden) Ärzte und Pflegekräfte in einer Gemeinschaftseinrichtung untergebracht sein, zusammen mit vielen anderen behinderten Menschen, die ebenfalls fernab ihrer Wohnung, ihrer Angehörigen, Freunde, Ärzte und Pflegekräfte dort untergebracht werden.

Das sich aufdrängende unschöne Bild eines Arbeitslagers versuchen die Samtpfoten mit allerlei plüschigen Pinselstrichen zu weichzuzeichnen: Beispielsweise wird jeder Teilnehmer am Residential Training ein eigenes Zimmer (Zelle?) bekommen - zumindest jetzt, zum verheißungsvollen Start des neuen Programmes. Beispielsweise ist die Teilnahme am Programm freiwillig und ohne Sanktionen für den, der die Teilnahme ablehnt oder das Training vorzeitig abbricht - zumindest jetzt, zum verheißungsvollen Start des neuen Programmes.

Beispielsweise, heißt es zum verheißungsvollen Start des neuen Programmes, diene das Konzept 'fernab des gewohnten Lebensumfeldes' ausschließlich dem Wohl des behinderten arbeitslosen Menschen:
"Das 'residential element' des Programmes aktiviert arbeitslose behinderte Menschen zum 'Denken neuer Gedanken' bezüglich ihrer Lebenschancen und ihrer Fähigkeit zum Arbeiten."
- eine samtige Philosophie, die dem Denken neuer Gedanken auf die Sprünge hilft, etwa dem Gedanken an ein Art Umerziehungslager für behinderte Menschen.

Vielversprechend klingt auch die bereits jetzt angekündigte Perspektive,
"... das Programm des Residential Training zu erweitern und langzeitarbeitslose nichtbehinderte Menschen mit einzubeziehen."
Das Konzept erscheint also ausbaufähig. Und weil bekanntlich alles, was ausbaufähig, auch marktfähig ist, wurde bereits der Gedanke an die Marktchancen eines zusammengepfercht lebenden Haufens von gut trainierten Billigarbeitskräften gedacht:
"Das Konzept sollte für den Markt geöffnet werden. Dieser Prozess könnte, als Testlauf, nächstes Jahr mit einer öffentlichen Ausschreibung beginnen."
- was wiederum das Denken völlig neuer Gedanken aktiviert, nämlich den Gedanken an das dem Markt innewohnende Wettbewerbsprinzip, dessen tragende Säule das Kostendämpfungsprinzip darstellt: je kostengünstiger betrieben, desto konkurrenzfähiger. Downgrading heißt das Zauberwort: goodbye, Einzelzimmer; welcome, Schlafsaal mit Mehrfach-Etagenbetten. Es muss sich ja rechnen, das neue Programm, wenn die Privatwirtschaft daran partizipieren und davon profitieren möchte.

Und weil es sich rechnen muss, sollte - wenn der Markt erst mal auf den Geschmack gekommen ist - beizeiten der Gedanke an Sanktionen gedacht werden: Bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt, verweigerst du die Teilnahme am neuen workfare-Camp, bekommst du keine Transferzahlungen mehr.

Zwangsarbeit, anybody? Arbeitslager? Umerziehung?

Behinderte und nichtbehinderte Menschen.
Hauptsache arbeitslos.
Gebrandmarkt als arbeitsscheu.
Alle unter einem Dach.

Dann vielleicht doch lieber Konzentrationslager? Weil, die Insassen sollen sich ja konzentrieren auf das Denken neuer Gedanken. Und dabei soll ihnen geholfen werden. Hört ihr? Wir wollen euch doch nur helfen. Obwohl es sich so anfühlt, als raste ein losgelassener Kampfhund mit gefletschtem Gebiss durch die Gegend, ein Kampfhund, dessen Besitzer freundlich ruft: Der will doch nur spielen.

Women in workhouse

Und deshalb beschäftigt mich die Frage, woran Faschismus zu erkennen ist. Und zwar möglichst frühzeitig. Weil, wenn es zu spät ist, ist es zu spät.

Freitag, 2. August 2013

Bewusstseinsbildung


Bewusstseinszentrum (englisch: awareness center)

Das Zentrum für Bewusstsein, Wahrnehmung, Achtsamkeit. Wo um alles in der Welt hat dieses Zentrum seinen Sitz? In welchen Tiefen der Großhirnrinde, des Kleinhirns, Zwischenhirns, der Schläfenlappen oder vielleicht doch wo ganz anders? Doch nicht etwa irgendwo draußen in aller Welt?

Wer's nicht weiß, kommt nie im Leben drauf: Das Zentrum für Bewusstsein, Wahrnehmung und Achtsamkeit befindet sich in Oakland, Kalifornien, nennt sich Awareness Center, und weil dieses Zentrum dem kompletten Einzugsgebiet Oaklands seine Wahrnehmung und Achtsamkeit schenken möchte, heißt es ganz offiziell Domain Awareness Center.

Nei-ein, es handelt sich dabei um keine zentrale Überwachunginstanz zur Kontrolle einer Stadt und ihrer Bürger, woher denn, Überwachung, igitt, Kontrolle, pfui, wie das schon klingt! Nein, es wurde mit Bedacht ein Name gewählt, der sich ins Ohr schmeichelt wie der eines neuartigen Instituts für ganzheitliche Bewusstseinserweiterung mit integrierter Fußreflexzonenmassage: Awareness Center. Schenken Sie uns Ihr Vertrauen, wir schenken Ihnen unsere Achtsamkeit, lassen Sie uns gemeinsam aufbrechen in ein neues Zeitalter des bewussten Wahrnehmens! Und jetzt her mit Ihren Daten!
Die Stadt Oakland ist gegenwärtig im Begriff, ein Domain Awareness Center (DAC) zu etablieren. Das DAC wird als ein "Fusionszentrum" dienen zur Aggregation von Videoaufnahmen und Echtzeitdaten aus zahlreichen Quellen rund um Oakland. Die möglichen Programmkomponenten umfassen die Integration von closed-circuit video feeds (CCTV) aus ganz Oakland, einschließlich 700 Kameras in den öffentlichen Schulen Oaklands und 135 Kameras am Oakland Coliseum complex. Videoaufnahmen und Daten von ganz Oakland sollen im DAC aggregiert, danach ausgewertet werden mit einer Nummernschilder-Erkennungssoftware, Wärmebildgeräten, Körperbewegungs-Erkennungssoftware, eventuell Gesichts-Erkennungssoftware und mehr - all dies ohne jegliche Berücksichtigung von Privatsphäre oder der Problematisierung von Vorratsdatenspeicherung, ohne dass jemals eine substantielle Debatte darüber auf Ausschuss- oder Stadtverwaltungsebene stattgefunden hätte.
Die Stadt Oakland ist nicht nur bekannt für ihre hohe Kriminalitätsrate, sondern auch (könnte es da einen Zusammenhang geben?) für ihre personell chronisch unterbesetzte und schlechtbezahlte Polizei. Weil - Austerity, lass deinen Zaunpfahl winken - die Stadt kein Geld hat für Neueinstellungen und angemessene Gehälter. Da trifft es sich gut, dass das gigantische Projekt zur Mega-Bewusstseinsbildung anschub-finanziert wird durch einem Zuschuss in Höhe von zwei Millionen Dollar, großzügig spendiert vom Department of Homeland Security (DHS), und in die Tat (vergelt's Gott) umgesetzt wird von einem Subunternehmer des amerikanischen Militärs, beides so freudig wie einstimmig abgesegnet vom Stadtparlament Oakland. 

Nach zwei Jahren dürfte der Prozess der flächendeckenden gemeinsamen Bewusstseinsbildung abgeschlossen sein, denn ab dann sollen die steuerzahlenden Bürger Oaklands die Finanzierung ihrer Totalüberwachung selbst übernehmen.


Cyrus Farivar via arstechnica

Allerdings ist Oakland noch für ein Drittes bekannt, nämlich für eine kritische, politisch denkende und handelnde, traditionell zur Renitenz neigende und potentiell auf Krawall gebürstete Bürgerschaft. Manche behaupten sogar, genau dieser Umstand sei es, der die Politik zu verschärften Überwachungsanstrengungen gerade in Oakland motiviere. Und dass sowohl die Stadtverwaltung als auch die Polizei Oaklands "ein gewaltiges Problem mit dem Vertrauen ihrer Bürger" hätten, welches gewiss "nicht dadurch gelöst werden wird, indem sie ihre Bürger ausspionieren".

Ja, diese kritischen Bürger nehmen den Mund ziemlich voll - in einer Stadt, die mit allen Mitteln um ein gemeinsames, das Leben aller Bürger einschließendes Bewusstsein ringt. Gottlob stehen der Polizei nunmehr ausreichend Instrumente zur Verfügung, welche die erwünschte Bewusstseinsbildung bei allen, auch den kritischsten Bürgern vorantreiben werden.

Es scheint, das Rennen um die smarteste Stadt der Welt hat erst begonnen. Tipps und Wetten werden noch angenommen. Ein Anwärter könnte die Stadt Chéran in Mexiko sein. Deren Bürger haben vor zwei Jahren die Polizei zum Teufel geschickt und die Stadtverwaltung gleich hinterher; beides mit der Begründung: zu korrupt und daher inkompetent. Können wir besser, sagten die Bürger Chérans, wir verwalten unsere Stadt selbst und passen auf uns selbst auf, Autonomie statt Überwachung, basta.

Ja, die haben auch den Mund ziemlich voll genommen, aber was will man sagen - der Laden läuft, in Chéran. Die Kriminalität, namentlich die organisierte, ist zurückgegangen. Ohne Polizei. Die Lebensqualität, sagen die Leute, sei deutlich gestiegen. Ohne Überwachungskameras. Irgendwie gebe es jetzt ein viel besseres Gemeinschaftsgefühl, und viel mehr Vertrauen untereinander. Ohne Stadtverwaltung. Irgendwie, heißt es, habe sich so etwas wie ein neues Bewusstsein gebildet.

Ist aber ein Tipp auf einen krassen Außenseiter. Kennt ja keiner. Chancenlos. Aber ziemlich smart.

Donnerstag, 1. August 2013

Spass mit Bourdieu


Heute feiert der 
stets zu Spässen aufgelegte 
französische Soziologe und politische Aktivist 
Pierre Bourdieu 
seinen 83. Geburtstag, 
vielmehr täte er dies, 
wenn er noch am Leben wäre, 
was bedauerlicherweise nicht der Fall ist.


Zur Feier des Tages gibt es
eine Schüssel bunter Schokodragees
mit dem aufgeprägten Konterfei des Meisters
sowie dem von ihm geprägten Begriff
"L'Homme Distinct".

Gefunden auf dem
stets zu Spässen aufgelegten 
Blog


"Das Ablehnen 
niedriger, volkstümlicher, derber, 
- mit einem Wort: natürlicher - 
Vergnügungen, 
welches die sakrale Sphäre der Kultur konstituiert, 
beinhaltet ein stillschweigendes Bekenntnis 
zur Überlegenheit derer, 
die vorliebnehmen 
mit den sublimierten, verfeinerten, kenntnisreichen
Genüssen,
die dem Profanen 
auf immer verschlossen bleiben werden."

Pierre Bourdieu, La Distinction, 1979