Montag, 18. November 2013

Demütiger Dank den tatendurstigen Triebtätern


Wenn nicht alles täuscht, hat sich am heutigen Montag der Übergang vom Kapitalismus in den Feudalismus vollzogen. Also, jetzt mal so expressis verbis. Weil, wirklich neu ist die Erkenntnis ja nicht, dass der modernen, aufgeklärten Form von Skaverei immer mehr Reize abgewonnen werden; schließlich lässt sich mit schlecht oder gar nicht bezahlter prekärer Arbeit, gern auch unter Zwang verrichtet, ein Haufen Geld verdienen. Man muss es halt nur den unwashed masses attraktiv verkaufen, und genau dies wurde heute vollzogen, in Gestalt eines Artikels auf der ersten Seite des britischen Telegraphs.

Der Londoner Bürgermeister Boris Johnson gab sich die Ehre:

Als Autor läutete er quasi offiziell den Anbruch des neuen feudalistischen Zeitalters ein, nachdem inzwischen die ollen neoliberalen Propaganda-Kamellen nicht mehr so richtig ziehen. Ab sofort, befahl Johnson den dauernörgelnden Untertanen, sei das notorische Bashing der Superreichen einzustellen:
"Die Leute müssen aufhören, auf die Superreichen einzuprügeln."
So gehe das nicht weiter, befand der Bürgermeister. Völlig verkehrtes Feindbild. Die Reichen seien keine Bösewichter, sondern Helden.
What the eff, Helden? Richtig:
"Sie (die Superreichen) sind die steuerzahlenden Helden."
Als solche verdienten sie Besseres als pausenlos beschimpft zu werden; vielmehr gehörten sie "bejubelt", ja "verehrt", mehr noch: Sie gehörten quasi
"... automatisch in den Adelsstand erhoben"
- statt, so Johnson weiter, "wie eine unterdrückte Minderheit" behandelt zu werden. Wie, unterdrückt? Ja. Doch. Johnson findet, die schwer bedrängte Minderheit der Superreichen sei "vergleichbarem Druck ausgesetzt wie die Minderheit der Obdachlosen", die ebenfalls ständig unter bösartigen Diskrimierungen zu leiden habe. Er, "als Bürgermeister von Amts wegen Freund und Helfer aller Minderheiten", werde es darum nicht länger tolerieren, wenn die superreiche Minderheit in einer Tour wie ein Außenseiter behandelt und schlecht gemacht werde.

Eindringlich ermahnte er das undankbare Volk, sich vor den heldenhaften superreichen Wohltätern untertänigst auf die Knie zu werfen, im Staub zu kriechen und ihnen das einzige Feedback zu geben, was diese tatsächlich "verdienten":
"Demütigen, von Herzen kommenden Dank."
Demut, Dank, what the effing eff? Wofür nochmal?
"... für deren unermüdliche, wollüstige Energie und schieren vermögensbildenden Tatendrang."
Hat er gesagt. Genau so. Alles im O-Ton nachzulesen. Im Telegraph.

Keine Ahnung, wie das zusammengestauchte, ausgeplünderte Inselvolk auf die Standpauke von oben reagiert. Ich könnte mir aber gut vorstellen, dass der eine oder die andere es nicht ungern sähe, wenn aus den geschmähten wollüstigen Neo-Feudalherren tatsächlich eine unterdrückte, verfolgte Minderheit würde; die erforderliche Infrastruktur ist im Norden Englands (Northumberland) vorhanden, in gut erhaltenem Zustand.

Wie sonst sollte man auf eine derart offene Kriegserklärung angemessen reagieren? Etwa strikt sachlich? Gut, von einigen britischen Bloggern wurde der Johnson'sche Ausfall nach Strich und Faden argumentativ zerpflückt; Scriptonite Daily zum Beispiel hat den feudalistischen Neusprech einem profunden Reality Check unterzogen. Das ist verdienstvoll, trifft jedoch, scheint mir, nicht den adäquaten Ton angesichts eines propagandistischen Großangriffes, den es (meines Wissens) in dieser unverblümten Form noch nicht gegeben hat.

Mir selber blieb jedenfalls vor Abscheu die Spucke weg.

Ein anderer hat seine gefunden und dagegen gehalten:

Laut. Zornig. Derb. Unsachlich. Adäquat.

The Artist Taxi Driver:



4 Kommentare:

  1. Johnson war schon immer ein Arschloch.
    http://www.youtube.com/watch?v=iDJWkS2A9T0

    AntwortenLöschen
  2. Derlei verbale "Großangriffe" wird es wohl in Zukunft noch mehr geben, bis... ja... bis auch solche beim "Publikum" als normal empfunden werden, was dann wohl gleichzusetzen sein wird mit rechtens und richtig.

    Es ist doch "nur" die Intensität der Aussagen Johnsons, die unsereins noch erschrecken und angewidert zurücklassen, inhaltlich unterscheiden sie sich doch nur unwesentlich von dem, was auch in Deutschland Politiker, Wirtschafts"experten", Journalisten etc. von sich geben.
    Eines Tages werden wir uns als "Untertanen" (der Begriff 'Bürger' hat dann wohl ausgedient)) damit zufrieden geben, dass uns von einer Minderheit der selbsternannten sog.Eliten erlaubt wird am Leben sein zu dürfen, was dann wohl als Synonym von Freiheit verstanden werden wird.
    Ich gerate oft in einen Disput mit einem guten Freund, wenn er allen Ernstes behauptet, dankbar dafür sein zu müssen, als Witwer und Schwerstkranker von seinen zwei Renten einigermaßen leben zu können. In der DDR (in der wir beide groß geworden sind), hätte es eine Rente für Witwer gar nicht gegeben. Darum sei diese unsere Gesellschaft die beste der besten. Ach ja, und jeder darf schimpfen und seine Meinung äußern, ohne dafür ins Gefängnis zu wandern.
    Tja, das nenn ich mal "auf dem besten Weg" im Sinne Johnsons. Kaum auszuhalten ist nicht nur diese verinnerlichte Dankbarkeit, sondern auch die Reaktion noch im Arbeitsleben stehender angeblicher Freunde, die tatsächlich suggerieren, dass, wer vom Staat (und damit ihnen als Steuerzahler) ohne eine Gegenleistung zu erbringen alimentiert wird, gefälligst auch keine Ansprüche mehr zu stellen habe.

    Wie imer herzlichen Dank für diesen bissigen Kommentar, Mrs. Mop!

    AntwortenLöschen
  3. Sie wollen erhöht werden - auf denn, hängt sie höher ...

    cu
    renée

    AntwortenLöschen
  4. Solche Hofschranzen wie der Johnson muss man als Wegbereiter einer blutigen Revolution sehen – würde ich mir jedenfalls wünschen, und wünschen würde ich mir auch, dass die Richtigen an den Laternen "erhöht" werden sollten.

    AntwortenLöschen