Dienstag, 31. Juli 2012

Stimmung bombig, Laune versaut


Ich bin schon den ganzen Morgen extrem gut drauf. Gefährlich gut drauf. In Bombenstimmung, möchte ich fast sagen. Und schätze, das geht nicht nur mir so, sondern vielen anderen Konsumenten (so nennt man Menschen heutzutage). Aber wie das so ist mit der gefühlten Empirie: Was letztlich zählt, sind harte Zahlen und Fakten, weil, sonst könnte ja jeder daherkommen und von sich auf andere schließen.

Nachdem erst vor wenigen Tagen von einem bundesweit anerkannten Konsumforschunginstitut eruiert wurde, dass es eine wissenschaftlich erwiesene Korrelation gibt zwischen guter "Kauflaune" und schlechter Allgemeinstimmung und ich schon am Grübeln war, ob das möglicherweise auch umgekehrt gilt, folgt heute ein ganz gemeiner Datenkracher aus Zahlen und Fakten, der sich so zusammenfassen lässt:
Der deutsche Konsumboom war und bleibt ein Propaganda-Fake.
Diese Aussage allein reicht schon, um meine Allgemeinstimmung (bei zugleich chronisch schlechter Kauflaune) signifikant anzuheben. Propaganda-Fake, ah, das geht runter wie Öl und entlarvt jenes wissenschaftliche Forschungsinstitut als das, was es ist, nämlich als Deckname einer Firma zur Produktion von Propaganda. Statt von märchenhaft guter Kauflaune ist von realiter "langanhaltender Konsumschwäche der privaten Haushalte" die Rede; und egal, mit welchen propaganda-kompatiblen Frageformulierungen die befragten deutschen Konsumenten in die behauptete Konsumeuphorie geknebelt wurden, die schnöden Zahlen der (saisonbereinigten und realen) Einzelhandelsumsätze sprechen eine andere, eben knallharte Sprache, denn sie
... zeichnen am verlässlichsten das aktuelle Konsumverhalten der privaten Haushalte nach.
- woraus wir lernen, dass Einzelhandelsumsätze und Kauflaune stets im Doppelpack in den Keller zu rauschen pflegen, weil gute Kauflaune bei schlechter Umsatzlaune nun mal nicht zu haben ist, da nützt alles gefakete Friemeln und Fummeln nichts, und sei es von noch so forschen Forschern erforscht.

Stimmungshebend, weil wohltuend Klartext statt Propagandaplapper redend, wirken auch Kommentare wie diese, bezüglich des gern nachgeplapperten deutschen "Erfolgsmodells":
... Teil des bisherigen "Erfolgsmodells" ist ja gerade die Nicht-Partizipation der Arbeitnehmer an den Produktivfortschritten in Deutschland, ein ausgeprägter Niedriglohnsektor, die u.a. die Exportorientiertheit befeuern. Da ist für Binnennachfrage und Impulse vom Konsum privater Haushalte kaum Platz.
Vermutlich warte ich auf wissenschaftliche Forschungshighlights wie
Die Kauflaune der deutschen Verbraucher ist schlecht, dennoch steigt ihre Stimmung
vergebens, obwohl bei mir persönlich diese Korrelation durchaus - zumindest punktuell - empirisch nachweisbar ist. Nur, mich fragt ja keiner.

Montag, 30. Juli 2012

Zwei glorreiche Halunken


Auch das noch.

Der amerikanische Finanzminister Timothy Geithner im Landeanflug auf Berlin. Mal ordentlich Tacheles reden mit seinem deutschen Kollegen, von wegen Eurofinanzkrise und so. Und weil der Schäuble grade reif für die Insel ist, pilgert der Timmy dem Wolferl nach Sylt hinterher.

Obwohl Schäuble behauptet hatte, er sei gar nicht urlaubsreif, wieso auch, schließlich könne es ihm sonstwo vorbeigehen, wenn irgendeine Ratingagentur die Kreditwürdigkeit Deutschlands im Keller versenkt, pfft, hat er gemeint, "ich halte Moodys Entscheidung für falsch und bin sehr entspannt, bevor ich meinen Urlaub antrete", begab sich entspannt zu den Krabben und erwartet jetzt dort den Geldgeier aus Washington, der - auch das ist erwähnenswert - zu seiner seelischen Entspannung dem Hobby Fliegenfischen frönt. (Siehe dazu: Fliegenfischen: "warten, beobachten, zielen, auswerfen - das Geschick, im richtigen Moment das Richtige zu tun".)

Der Geldgeier Geithner ist übrigens derjenige, der neulich seine Beteiligung am LIBOR-Betrug (damals war er noch Präsident der Federal Reserve Bank) - also: sein Nichtbeteiligtsein infolge desinteressierten Wegsehens - mit nichts als einem feisten Grinsen kommentiert hat, was ihm von dem IMF-Deserteur Neil Barofsky das Urteil eintrug, er, Geithner, gehöre "in Handschellen abgeführt" (starkes Video).

Was der Geithner genau zum jetzigen Zeitpunkt - Höhepunkt Eurofinanzkrise vs. Höhepunkt amerikanischer Präsidentschaftswahlkampf - eigentlich vom Schäuble will, darüber gehen die Meinungen auseinander. Ich bin mir aber sicher, dass der Geier der Ansicht ist, lange genug gewartet und beobachtet zu haben, den richtigen Moment kommen sieht, nunmehr am Zielen ist und der Auswurf des gemeinsamen Krabbenpuhlens beider Finanzminister mit Spannung erwartet werden darf.


Sonntag, 29. Juli 2012

Sommermärchen, das sechste


Viel Sommerregen heute früh, warmer, sanfter Sommerregen.

Und jede Menge rain on Spain. Es regnet sinnentleerte rhetorische Dungbrocken in Strömen aus den Wolken von EU und IMF. Kein Rettungsschirm weit und breit.

Erst mal wird ein dickes Lob ausgeschüttet für die Erfolge von Spaniens Austeritäts-, also Totsparmaßnahmen:
Der Internationale Währungsfonds lobte am Freitag Spanien für die Maßnahmen, die es ergreift, um der Krise die Stirn zu bieten.
"Alles in allem verhielt sich die Regierung proaktiv in der Umsetzung ihrer Maßnahmen während der Krise, mit einer bemerkenswerten Intensivierung innerhalb der letzten Monate," sagte der Fonds in seinem Bericht.
Vorbildlich, weiter so, Spanien. Es kann nur noch aufwärts gehen, denn besagte Maßnahmen
...hätten das Potential, Vertrauen wiederherzustellen und die Wirtschaft auf einen nachhaltigen Weg zurückzuführen.
Sanft plätschernde Verbaltropfen, die von der segensreichen proaktiven Fruchtbarmachung der spanischen Dürre künden. Jedoch, es geht noch sanfter:
Jedoch gebe es einen Spielraum für einen sanfteren Austeritätspfad über die nächsten zwei Jahre, um zu vermeiden, dass die Rezession sich noch mehr vertieft.
Was nahelegt, dass unsanfte Austerität in eine unsanfte Rezession geführt hat, weshalb ein sanfterer Austeritätspfad - proaktiv, wie sonst? - die sich vertiefende Rezession besänftigen möge. Darum haben die Regengötter des IMF ein Einsehen und kübeln zur Abwechslung mal andersrum:
Spanien sei mit einer Rezession beispiellosen Ausmaßes konfrontiert, mit sehr hoher Arbeitslosigkeit und rasant wachsender Staatsverschuldung, sagten die IMF-Direktoren nach Abschluss ihrer Beratungsgespräche mit Spanien.
Ah, ein Lichtstreif. Hört es jetzt endlich auf zu regnen?
James Daniel, der Leiter der IMF-Mission für Spanien, sagte, die Arbeitslosenrate für die kommenden Jahre sei "unakzeptabel hoch".
Das finden die meisten Menschen in Spanien auch:
Für die meisten Menschen bleibt der Ausblick düster, denn die 65 Milliarden Euro umfassenden Austeritätsmaßnahmen der Regierung reißen Schneisen der Zerstörung durch das Land, mit allein 63.000 Entlassungen im öffentlichen Dienst von April bis Juni.
Der "einzige Effekt" der Austeritätsmaßnahmen, sagen die Gewerkschaften,
"...sei die Vervielfachung von Entlassungen um ein Fünffaches."
Unakzeptabel, findet auch die stellvertretende Ministerpräsidentin:
"Die Regierung wird fortgesetzt versuchen, diese Situation zu verbessern, die unzweifelhaft durch die Rezession verursacht wurde, durch die Reduzierung der Verschuldung und durch fortgesetzte Strukturreformen."
Zusammengefasst: Fortgesetzt unsanfte Austerität führt zu fortgesetzt sich vertiefender Rezession und unakzeptabel ansteigender Arbeitslosigkeit. War ja eigentlich klar.

Nicht jedem. Bei manchen dauert's länger, bis der Groschen fällt, zum Beispiel bei der Europäischen Kommission, und mit den Groschen - es dürfen auch Cents sein - fällt der rhetorische Regen, sanft, aber sinnentleert, auf dass ihm keine Taten folgen mögen, Hauptsache, wir haben drüber gesprochen:
Jedoch könnte am Ende die Medizin (=Austerität) den Patienten töten: Sogar die europäische Kommission steuert ihre zwei Cents bei, indem sie heute Spanien ermahnt, eine Arbeitslosenrate, die sie (die Europäische Kommission) für unakzeptabel hält, zu reduzieren.
Herr, lass bitte weiter Regen vom Himmel fallen und bloß kein Hirn, denn sie sind zu blöd zum Auffangen.

Samstag, 28. Juli 2012

Excuse me?


Schockiert und zutiefst betroffen reagierte die internationale Finanzwelt auf diese Schlagzeile:
Barclays says sorry for Libor scandal as profits hit £ 4.2 bn

Barclays entschuldigte sich für den Skandal um Libor (manipulierter Zinssatz unter Banken am Londoner Geldmarkt) und berichtete gleichzeitig von einem über den Erwartungen liegenden Halbjahresgewinn von 4,2 Milliarden £.
Aus Brancheninsiderkreisen war zu erfahren, dass es sich bei diesem Statement um eine unerhörte Entgleisung und eine schwerwiegende Verletzung weltweit gültiger ethischer Standards in der Finanzindustrie handele. Was das Bankenvorstandsmitglied Marcus Agius da - in einer offensichtlich schwachen Minute - dahergeredet habe, sei an Verantwortungslosigkeit nicht zu überbieten. Selbst hochrangige Mitglieder aus dem Vorstand Barclays' hätten sich von ihrem Kollegen distanziert mit den Worten:
"Entschuldigung, aber wie kann einer von uns sich entschuldigen?"
Ein den Libor-Vorgängen nahestehender Kenner der Szene (der namentlich nicht genannt werden wollte) ging sogar so weit, von Agius eine Entschuldigung zu verlangen dafür, dass er sich entschuldigt habe.
"Wehret den Anfängen!"
soll er sich empört haben, und:
"was, wenn das Sichentschuldigen Schule macht, wo kommen wir da hin?"
Quer durch die Reihen war man sich einig darüber, dass der Fettnäpfchentreter des Londoner Finanzdistriktes die mahnenden Worte seines großen Landsmannes Elton John (Video) beherzigen und zur Strafe hundertmal sich hinter die Ohren schreiben sollte, auf dass ihm das Unwort sorry niemals mehr über die Lippen rutsche - mit der Begründung, erst das Wörtchen sorry habe der obigen Schlagzeile einen obszönen Beigeschmack verliehen.

Ansonsten, wurde aus der Londoner City versichert, laufe alles weiterhin seinen normalen Gang. Angesichts der unkontrollierbaren Manipulationsvorwürfe in Sachen Libor habe die Finanzindustrie versprochen, neuartige Kontrollen und Gesetzesentwürfe zur Regulierung des Gewerbes einzubringen, die dafür sorgen würden, dass in Zukunft das Unwort sorry ein für allemal der Vergangenheit angehöre.

Musik, zwo drei.


Laune gut, Stimmung im Eimer


Es gibt Wörter, von denen kriege ich auf der Stelle und so rasant schlechte Laune, so schnell kann kein Fahrstuhl in den tiefsten Keller abstürzen. Das Wort heißt:
Kauflaune.
Kauflaune ist das, was der Wirtschaft gute Laune macht. Um die deutsche Wirtschaft bei Laune zu halten, vergewissert sich alljährlich ein deutsches Gute-Laune-Institut namens GfK Marktforschung, ob die Kauflaune noch hält, was sie letztes Jahr versprochen hat, und siehe da: Die Kauflaune der Deutschen hält Wort. Sie bleibt stabil auf hohem Niveau und lässt sich "trotz der Euro-Turbulenzen" die bombigen Werte nicht versauen:
Die Krise in Griechenland, die Probleme in Spanien und Italien - all das lässt die Verbraucher in Deutschland kalt. Die Kauflaune ist weiter gut.
Bombenstimmung also im stabilen Kernland des Euro? Nah, so darf man das mit der Kauflaune nicht interpretieren. Zu den wundersamen Qualitäten der guten Kauflaune gehört nämlich, dass sich der empirisch irgendwie erfasste Deutsche ihr extrem schlechtgelaunt hingibt. Das war schon letztes Jahr so -
Die Stimmung der deutschen Verbraucher ist schlecht, dennoch steigt ihre Kauflaune.
- und ist dieses Jahr nicht anders. Übellaunig in den nächsten Kaufrausch. Krisenmeldungen wie diese (heute in sämtlichen Zeitungen nachzulesen) lassen mich keineswegs kalt, vielmehr meine Kauflaune signifikant ansteigen. Ich geh' jetzt zum Bäcker.
Gute-Laune-Brötchen kaufen.

Freitag, 27. Juli 2012

Sommermärchen, das fünfte


...wird Ihnen präsentiert als Sommerfilm und spielt gestern abend in der nordspanischen Stadt Vinaròs, vor und im dortigen Rathaus, das von einer druckvollen, empörten Bevölkerung unter Kampfrufen gestürmt wurde:


In einer Atmosphäre extremer Anspannung mussten die Stadträte geschützt werden und, von der Guardia Civil eskortiert, das Gebäude verlassen.
Geht doch. Muss ja nicht immer gleich die Bastille sein.
Hauptsache, das Volk sagt basta.

35 Sekunden, die 35 Grad Celsius mal locker in den Schatten stellen.

Donnerstag, 26. Juli 2012

Goldman Sucks


Die Goldmanisierung™ der europäischen Politik ("Masters of the eurozone") schreitet zügig voran:

vorher...
...nachher
(zum Vergrößern auf Link klicken)

Demnächst dürfte ein Neuzugang aus dem Hause Goldman Sachs in Good Old Europe zu erwarten sein: Die Bank of England - skandalgeschunden durch die jüngsten Enthüllungen rund um LIBORgate, bei dem ihr bisheriger Gouverneur Mervyn King keine allzu gute Figur machte - braucht dringend einen repräsentablen neuen Kopf. Am besten einen unbescholtenen. Also lieber keinen aus England, weil dort womöglich jedes große Finanztier irgendwie in die LIBOR-Affäre verwickelt ist, gewesen ist, gewesen sein könnte oder sich herausstellen könnte, dass er es tatsächlich war. Ein frisches, unverbrauchtes Gesicht muss also her:
"Warum nicht einen Kopf, der global ist? Banker sind nun mal nicht besonders beliebt, da klingt ein Kanadier nach einer guten Wahl. Gut möglich, dass sie, um die Glaubwürdigkeit wiederherzustellen, sich nach einem Außenstehenden umschauen sollten."
Der unbescholtene Hoffnungsträger aus Kanada heißt Mark Carney, ist Gouverneur der Bank of Canada und trägt auch ansonsten eine saubere Weste, denn er war zuvor in leitender Stellung bei Goldman Sachs. Letzteres wird von der Finanzpresse allerdings weniger prominent gefeatured, schließlich geht es um Glaubwürdigkeit, nicht wahr, und da will man sich auf offener Bühne ja nicht selber in die Suppe spucken.

Apropos Bühne. Zu jeder Bühne gehört eine Kulisse, und in der warten bereits weitere Goldman-Sachs-Stammhalter auf ihren Einsatz im Tagesgeschäft der Politik; scheint's wird es denen im finanzkapitalistischen Tagesgeschäft zu langweilig, weil, immer nur Geld zählen ist ja auf Dauer auch öd. Von Tony Blairs - britischer Ex-Premierminister und derzeit Goldman-Sachs-Berater - feuchten Rückkehrträumen wurde hier bereits berichtet.

Nun scharrt seit kurzem aus demselben Großfinanz-Stall ein weiterer politisch ambitionierter Banker mit den Hufen: kein Geringerer als Lloyd Blankfein. Der ist nicht irgendwer und auch kein popeliger Goldman-Sachs-Berater mit fragwürdiger politischer Vergangenheit, der ist vielmehr quasi Mr. Goldman Sachs himself und höchstpersönlich, nämlich CEO der weltumspannenden Finanzkrake. Und streckt jetzt seinen Kraken-Fangarm nach Regierungsteilhabe aus - ihn dürstet offenbar nach (noch mehr) politischer Macht:
Mr. Blankfein schloss nicht aus, sich Regierungsgeschäften zuzuwenden, wenn seine Amtszeit als Chef bei Goldman beendet sein wird. "Ich habe Ambitionen, mich gebraucht zu fühlen. Von egal welchem Präsident; ich meine das nicht so, dass dies auf die Vereinigten Staaten beschränkt sein muss."
Noch ein Banker in einer Regierung - genau das, was der Welt gefehlt hat. Wo doch bereits quer über den Staaten Europas irgendein Goldman-Sachs-Spross mit dem Fallschirm abgesprungen ist, um die fachgerechte Abwicklung des Niederganges dieser Staaten zu managen.

Ein Blick auf die obige Graphik zeigt, wo noch Vakanzen zu besetzen wären. Der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy wirkt ohnehin ein wenig abgekämpft in letzter Zeit. Vielleicht sollte ihm mal jemand sagen, dass es da jemanden gibt. Mit Ambitionen, sich gebraucht zu fühlen.

Fußpflege mit Sinn


Achtung, Fußnägel-Alarm.

Das folgende Zitat bitte nur lesen, wer über extrem robuste, deformierungs-resistente Hornschichten auf den Zehenenden
(Zehen-Enden) verfügt:
"Die Eurokrise hat zunehmend negative Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft."
Ruhe da unten an den Füßen! Wer wird sich denn gleich hochrollen? Ist doch nur der übliche, hochtourig sinnentleerte, halt um ein paar Drehzahlen verschärfte Ökonomen-Ausstoß und in etwa so scharf-sinnig, wie wenn ich der Welt mitteilen würde, dass die viel zu engen Schuhe, die ich mir - bei klarem Bewusstsein - vorletzten Sommer gekauft habe, zunehmend negative Auswirkungen auf meine Füße haben. Weil, meine Füße sind nämlich kerngesund und dank weltmeisterlicher Fußpflege in Topform! Wenn nur diese bösen Schuhe nicht wären.

Immerhin kann in zu engen Schuhen sich nichts hochrollen, keine Chance, obwohl es von innen deutlich hörbar gegen das Oberleder scharrt. Was dagegen von innen gegen die Großhirnrinde zu enger deutscher Ökonomenköpfe scharrt, möchte ich lieber nicht wissen.

McOlympics


The Big Mac Stadium:

Feel the spirit


Dienstag, 24. Juli 2012

Sommermärchen, das vierte


Endlich ist es Sommer geworden. Und wie. So heiß, dass man sich schnurstracks im nächstbesten Sommerloch vergraben möchte, mit ein paar gekühlten Getränken, Hauptsache Ruhe.

Aber sie lassen einem keine Ruhe, die Leute, denn kaum droht sich ein Sommerloch zum anständigen Chillen zu öffnen, wird es flugs zugeschüttet. Von Leuten, die einfach ihre Klappe nicht halten können. Plappern so fahrlässig drauflos, dass noch der friedliebendste Maulwurf aus dem schützenden Erdwall seines Sommerloches sich emporbuddelt und munter ausruft: Hey, Leute, ihr bringt uns auf Ideen, auf die wären wir von allein nie gekommen!

Und auf was für Ideen einen die Leute bringen! Also, die Politiker jetzt. Oder vielmehr, die ehemaligen Politiker. Die, die inzwischen beruflich etwas anderes machen als Politiker. Spezielle jene, die nach ihrer zweifelhaften Politkarriere das Lager gewechselt und die kuschelige Nische des Investmentbankings gesucht und gefunden haben. Der britische Ex-Premierminister Tony Blair ist so einer.

Sprach der Tony ins Mikrofony:
"Wir sollten nicht auf die Idee kommen, der Gesellschaft ginge es besser, wenn wir 20 Banker am Ende der Straße aufhängen."
Wieso grade 20 Banker? Wie kommt der Blair auf die Zahl? Ist die nicht ein bisschen extrem hoch? Oder niedrig, je nachdem? Im letzteren Fall denkt der aufgewühlte Maulwurf verdattert, wieso nur 20, Mr. Blair, ich komme auf 21, haben Sie sich vielleicht verzählt? Andererseits, 20 an der aufzuknüpfenden Zahl scheinen doch ziemlich hoch gegriffen zu sein; besitzt der Banken-Insider Blair womöglich Informationen, die dem fastblinden Maulwurf unzugänglich sind?

Okay, hängen wir uns nicht an der Zahl 20 auf. Wenn der Blair die Zahl als gegeben betrachtet, muss wohl etwas dran sein. Aber weil der Maulwurf nicht nur fastblind, sondern auch wissenschaftlich veranlagt ist, verlangt es ihn nach Verifizierung, und während er gräbelt und grübelt, kommt ihm die Idee des Doppelblindversuches: beispielsweise zehn Banker am einen Ende der Straße aufhängen, meinetwegen Wall Street, und eine Kontrollgruppe von zehn Politikern am anderen Ende der Straße, meinetwegen Downing Street. Und dann methodisch sauber vergleichen: Welche der beiden Gruppen hat der Gesellschaft am meisten geschadet?

Wird schwierig, das merkt selbst ein fastblinder Maulwurf. Weil die Fallzahl halt doch ziemlich niedrig ist, um valide Ergebnisse zu liefern. Man müsste das Experiment schon mehrmals in dichter Abfolge durchführen, um zu halbwegs konsistenten Schlüssen zu kommen, sonst hat man mehr als nur ein mathematisches Problem.

Auch sollte sorgsam abgewogen werden, ob nicht eine dritte Kontrollgruppe vonnöten ist: die der Ex-Politiker-Jetzt-Bankconsultants, die allen Ernstes damit drohen, mit ihrem - via Beratertätigkeit für Goldman Sachs erworbenen - Knowhow in das zurückzukehren, was einer der inoffiziellen Sprecher des internationalen Finanzkapitals als "Politik" bezeichnet. Tony Blair heißt er. Doch, der hat soeben sein baldiges Comeback ins Sommerloch posaunt. Natürlich will so einer nicht, dass "wir" seinesgleichen an Laternenpfählen baumeln lassen. Wobei der Maulwurf noch nicht gerafft hat, wen der Tony mit "wir" meint. Vermutlich seinesgleichen.

Wir Maulwürfe ticken da anders. Wenn wir "wir" sagen, meinen wir unseresgleichen. Und das, lieber Tony, ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Hang on.

Ende des Sommerlochmärchens.

Montag, 23. Juli 2012

Soziale Explosion


Welch ein Drama. Mir ist heute ein Staubsaugerbeutel explodiert. Einfach so. Also, was heißt einfach so, er war halt einfach zu voll beziehungsweise ich einfach zu faul, rechtzeitig einen neuen, leeren Staubsaugerbeutel einzulegen. Das hat sich nun gerächt. Ohne ins Detail gehen zu wollen, so viel steht fest: Einen explodierten Staubsaugerbeutel wünsche ich meinem ärgsten Feind nicht.

Statt 'explodiert' könnte ich auch sagen, das Ding ist geplatzt, läuft aber aufs Gleiche hinaus. Zu viel Dreck bekommt einem Staubsaugerbeutel nicht gut, habe ich gelernt, obwohl Staubsaugerbeutel ein ziemlich hohes Fassungsvermögen für Dreck haben, aber irgendwann ist halt Schluss. Wer mehr Dreck in so einen Staubsaugerbeutel stopft, als das Ding bereit ist aufzunehmen, dem fliegt das Ding um die Ohren, und die bittere Lektion daraus ist: selber schuld.

Nach mühevoller Spurenbeseitigung und mit einer dem Explodieren nahen Staublunge machte ich röchelnd einen kurzatmigen Streifzug durchs Internet, um mich abzulenken oder zu entspannen oder wie auch immer, halt irgendwie auf der Suche nach einer de-explosiven Mischung, um wieder runterzukommen; klickte also zwei-, dreimal, las dieses, las jenes und sah mich alsbald mit einer Explosion ungeahnten Ausmaßes konfrontiert. Einer Explosion, von der ich bis dato noch gar nicht wusste, dass es sie gibt: die soziale Explosion.

Herrschaftszeiten. Soziale Explosion! Natürlich ereilte mich sofort ein übler Flashback, weil ich an meinen übervollen Staubsaugerbeutel denken musste, nach Luft schnappte und vor mich hin blubberte: Ja, wenn ihr die Leute mit immer mehr Dreck vollstopft und ihnen dann noch mehr Dreck zumutet und ihnen zu guter Letzt noch eine ultimative Extraportion Dreck reinwürgt, dann dürft ihr euch nicht wundern, wenn den Leuten der Kragen platzt.

Mal ganz abgesehen davon, dass Menschen keine Staubsaugerbeutel sind, will sagen, ihre natürliche Disposition besteht nicht darin, möglichst viel Dreck zu absorbieren, weshalb ihr Dreckfassungsvermögen keineswegs unendlich ist, obwohl das einige Typen auf höchster staubfreier EU-Ebene zu glauben scheinen und sich dann wundern, wenn die Füllstandsanzeige auf unterster EU-Ebene klar und unmissverständlich signalisiert: Das Maß ist voll, bis hierhin und nicht weiter, sonst platzen wir, passt auf, euer Dreck fliegt euch um die Ohren!

Einem sozialdemokratischen EU-Staubsaugervertreter scheint gerade zu dämmern, dass Staubsaugerbeutel kein unbegrenztes Fassungsvermögen haben. Angesichts der "sich verschärfenden Eurokrise" und neuer Proteste gegen Sparmaßnahmen "befürchtet" der Präsident des Europaparlamentes, Martin Schulz (SPD), eine "unkontrollierbare Entwicklung":
"Die Demonstrationen in Spanien zeigen einmal mehr, dass aufgrund der hohen Jugendarbeitslosigkeit in Europa eine soziale Explosion droht," warnte Schulz.
Tja, Herr Schulz, von nix kommt nix. Wer den Menschen immer mehr Dreck reinwürgt, der muss halt irgendwann das Fürchten lernen. Noch bitterer die Lektion - aber davon ist die staubfreie EU-Ebene noch weit entfernt -, dass Menschen nun mal kein Staubsaugerbeutel sind, sondern Menschen, verstehen Sie?, einfach Menschen.

Und solange das so bleibt und Sie und ihresgleichen das nicht verstehen, zählen Sie zu meinen ärgsten Feinden, denen ich von Herzen - und jetzt muss ich mich von Herzen revidieren -, einen explodierenden Staubsaugerbeutel wünsche.

Selber schuld.

Sonntag, 22. Juli 2012

Vorsicht, Ansteckungsgefahr!


Italien ist auch nicht mehr das, was es mal war. Das bereitet dem nicht ins Amt gewählten Amtsinhaber und Anti-Berlusconi-EU-Technokraten Mario Monti schweres Kopfzerbrechen. Weil, von irgendwoher muss Italiens angeschlagene wirtschaftliche, hm, Gesundheit ja kommen, oder? Vielleicht von den Außerirdischen? Steckt womöglich ein polit-bakterieller Anschlag dahinter? Ein niederträchtiger grippaler Krisenvirus? Haben all diese EU-Loser es am Ende auf Italien abgesehen? Nichts als Fragen zur "Ansteckung", die sich Monti ratlos stellt, und keine Antworten, nirgends:
"Schwer zu sagen, in welchem Ausmaß die Ansteckung von Griechenland oder von Portugal oder von Irland kommt oder gekommen ist, oder von der Situation der spanischen Banken oder von denen, die da auf den Straßen und Plätzen in Madrid auftauchen," erzählte Monti den Reportern in Rom. "Ganz augenscheinlich wären ohne die Probleme in diesen Ländern Italiens Kreditkosten günstiger."
Zum Piepen. Schuld sind immer die andern. Das war schon immer so. Und wenn sich nach langem Suchen kein Sündenbock mehr findet,
was dann? Wer war's?

"Wir!", brüllt es lauthals aus den Sprechchören der protestierenden Massen auf den Straßen. Denen in Spanien. Die anderen kommen erst noch. Demnächst in Ihrem Theater, Herr Monti.

Ansteckende Heiterkeit.

Samstag, 21. Juli 2012

Sommermärchen, das dritte



Es begab sich aber im Sommer des Jahres 2012, dass der internationale Kapitalismus ein Großes Fest austrug, um sich selbst zu feiern. Alle Welt schaute und pilgerte nach London, um dabei zu sein. Großzügig, wie der Kapitalismus war, spendierte er alles, was zum Gelingen des Großen Festes nötig war, von den hochmodernen Sportanlagen über die komfortablen olympischen Dörfer, in denen die Athleten (überwiegend mit Migrationshintergrund) wohnten, bis hin zu den olympischen Slums, in denen die Putzkolonnen (überwiegend mit Migrationshintergrund) hausten.

Murray Sanders via The Sociologist

Damit den Kapitalismus das Ganze nicht allzu teuer kam, teilten sich die herbeigepilgerten Reinigungsfrauen und -männer zu zehnt je einen Slumcontainer und bezahlten pro Kopf und Tag einen bescheidenen Obulus von 18 £ Miete für ihre Unterkunft. Als Gegenleistung spendierte der Kapitalismus ihnen Toiletten (je eine Toilette für 25 Menschen) und Duschen (je eine Dusche für 75 Menschen), untersagte jedoch "aus Sicherheitsgründen" den Bewohnern des olympischen Slums Besucher aller Art sowie den Kontakt zur Presse.

Natürlich spendierte der Kapitalismus auch die reichhaltige Deko, die so einem Fest erst jene Größe verleiht, dass es zum Großen Fest des Kapitalismus gerät. Alle beim Großen Fest vertretenen Spendierhosen durften nach Herzenslust dekorieren, und auch der sportbegeisterte olympische Zuschauer durfte mitdekorieren, solange er auf seiner Hose das richtige Spendier-Logo trug. Andernfalls - es war an alles gedacht worden - wurde schwarzes Tape und graues Farbspray zur Verfügung gestellt, um unerwünschte, unspendable Markenlogos auf Kleidern und Schuhen unkenntlich zu machen.

Bei Zuwiderhandlung, entschied der Kapitalismus, erfolge Platzverweis, da nütze es dem gegen die Markengesetze Verstoßenden auch nichts, lumpige 600 £ für die Eintrittskarte zum Großen Fest gezahlt zu haben. Wer spendiert, der herrscht - so laute die unumstößliche kapitalistische Regel nun mal, an die sich bitte alle zu halten hätten; denn was wäre ein Großes Fest ohne ein faires Regelwerk? Weshalb am eklatant unfairen Verhalten eines Pilgers ein Exempel statuiert werden musste: Ein Katzenliebhaber, dessen Haustier auf den Namen 'Pepsi' hört, wollte gerade auf der Tribüne Platz nehmen, als die olympische Gestapo gewahr wurde, dass er ein T-Shirt mit dem Aufdruck 'I love Pepsi' trug. Er wurde ohne viel Aufhebens von der Tribüne entfernt, denn Markenrechte müssen gesichert werden.

Wie sehr dem Kapitalismus das Thema Sicherheit am Herzen liegt, lässt sich an seinem verantwortungsvollen Umgang mit den Sicherheitskräften ablesen. Aus Sicherheitsgründen legte er den beim Großen Fest diensthabenden Polizisten nahe, mitgeführte Snacks - Chips, Schokoriegel oder ähnliches - aus ihrer Verpackung zu entfernen und in neutrale Klarsichttüten umzufüllen. Natürlich nur dann, wenn die Chips und Schokoriegel in einer von den Spendierkapitalisten unerwünschten, weil von einem unspendablen Markenhersteller stammenden Verpackung ins Innere des Großen Festes geschleust werden sollten:
Die Anweisung erfolgte auf höchster Ebene und gründet sich auf die Richtlinien der Organisatoren der Londoner Spiele. Sie dient dem Schutz der Werbung der offiziellen Sponsoren, zu denen Coca Cola, Cadbury's und McDonalds gehören. Da die Spiele weltweit im Fernsehen übertragen würden, hat die Führungsspitze ein Verbot jeglicher Werbung für Firmen erteilt, die keine Millionen an Sponsorengeldern herausgerückt haben. Das Londoner Olympische Komitee erließ eine Anweisung an alle Kräfte, die zur Aufrechterhaltung von Sicherheit, Recht und Ordnung im Rahmen der Spiele fungieren, sich an den Befehl zu halten.
Nachdem nunmehr Sicherheit, Recht, Ordnung sowie systemischer Realitätsverlust in guten Händen und vom Kapitalismus gewährleistet sind, kann es am morgigen Sonntag endlich störungsfrei losgehen mit dem Großen Fest.

Dieses paranoide kleine Sommermärchen wurde Ihnen präsentiert von den Olympischen Spielen™, London 2012™ und der Erbengemeinschaft Mussolini™. Letzterer bewies vor langer Zeit hellsichtiges Denken, als es um die Definition totalitärer Systeme ging; besonders der staatlich-autoritäre Korporatismus hatte es ihm angetan.
Faschismus sollte richtiger Korporatismus heißen, weil es sich um eine perfekte Verschmelzung von Staats- und Unternehmensgewalt handelt.
Benito Mussolini, 1883-1945

Freitag, 20. Juli 2012

Auf den leeren Tisch gehauen


Mag der mitteleuropäische Sommer aufgrund versuppter Witterung auch ins Wasser fallen, anderswo herrscht eitel Sonnenschein.

In Amerika zum Beispiel. In der dortigen Landwirtschaft zieht die seit Wochen anhaltende Hitze- und Dürreperiode verheerende Folgen nach sich, die Farmer ächzen, das Zeug will einfach nicht wachsen, die Ernten fallen kümmerlich aus.

Kein Grund, trübselig zu werden! Immer das Positive sehen! Mögen die Äcker auch verdorren, auf den Märkten herrscht - na? - eitel Sonnenschein. Nicht trotzdem, sondern eben drum. Euphorisiert berichtet die Bank of America, die Farmer sollten mal bloß den Kopf nicht hängen lassen, denn:
Aus unserer Sicht sind die Dürre-Bedingungen faktisch ein positives Phänomen für Farmer, denn die Preise für Agrarrohstoffe steigen (infolge der schlechten Erträge) stärker als die Einbußen aufgrund sinkender Produktion.
Okey dokey? Anscheinend will der Report den Farmern weismachen, dass die Dürre ihnen bessere Erträge bescheren wird, nicht obwohl, sondern weil ihre Ernten so kümmerlich ausfallen. Oder vielleicht doch eher oakey cokey, was dem hochgestimmten BoA-Reporter da unter der Nase rausgerutscht ist?

Keine Ahnung, ob die amerikanischen Farmer die getunte Kröte schlucken werden. Klar ist hingegen, dass Nahrungsmittel verknappen und deshalb teurer werden, was für Leute mit Geld kein Problem darstellt, für Leute ohne Geld schon eher, denn die müssen dann halt hungern, was für sie ein Problem darstellt, für die Märkte weniger, denn die werden davon stimuliert, was der Business Insider leicht befremdet, aber mit Contenance so kommentiert:
This is certainly a very interesting angle on the drought and its future repercussions.
- wobei ich jetzt nicht weiß, was er mit repercussions meint, aber jemand wie ich denkt dabei entweder an hungrige Menschen, viele hungrige Menschen, sehr viele hungrige Menschen, die die Contenance verlieren und zurückschlagen, oder halt an einen Tisch mit nix zu essen drauf, auf dem (vorerst) vier Menschen zu trommeln anfangen.
Eben drum:


Sommermärchen, das zweite



Es war einmal ein Bankster. Der jammerte den lieben langen Tag. Ach, klagte er, dauernd mäkelt irgendeiner an mir herum. Und das, wo wir doch nur das Werk Gottes tun. Wir sind einfach unersättlich, excuse me, "unersetzlich, denn wir helfen der Wirtschaft zu wachsen, indem wir Reichtum schaffen, wodurch wir Jobs schaffen, die noch mehr Wachstum und noch mehr Reichtum schaffen - es ist ein tugendhafter Kreislauf!" und darum recht eigentlich doch unersättlich, denn unersättlich zu sein ist nun mal das, was wir als Tugend definieren, verstehen Sie?

Deshalb verstehen wir gar nicht, wieso immerzu auf uns herumgehackt wird. Gut, manches läuft uns aus dem Ruder, aber wem läuft nicht ab und zu mal was aus dem Ruder? Fehler sind menschlich. Das dann gleich Betrug zu nennen, ist ein bisschen heftig, finden Sie nicht? Immerhin, sie nennen es "organisierten" oder "kontrollierten Betrug", und darauf sind wir schon ein klein wenig stolz, denn vom Organisieren und Kontrollieren verstehen wir etwas.

Gestern hat sogar jemand behauptet, unsere Großbanken seien "kriminelle Unternehmen". Also, das geht wirklich etwas zu weit. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, das ist reine Blasphemie - schließlich verrichten wir Gottes Werk! Der liebe Gott ist doch kein Verbrecher! Kann es gar nicht sein, denn er ist nun mal der liebe Gott und duldet keine anderen Verbrecher neben sich, weshalb jeder, der uns kriminell nennt, verbrecherisch handelt.

Aber kränken tut uns das alles natürlich trotzdem. Wir sind ja auch nur Menschen! Okay, eigentlich sind wir Gott, aber durchaus mit menschlichem Antlitz. Und eine Seele, eine menschliche, haben wir auch. Doch, haben wir! Oder glauben Sie vielleicht, die Psycho- und Soziopathen dieser Finanzwelt hätten keine Seele? Natürlich haben wir eine Seele, und zwar eine sehr sensible, verwundbare Seele, das merken Sie ja schon daran, wie gekränkt wir uns fühlen. Darum müssen wir von Zeit zu Zeit ein bisschen schmollen, anders ist diese postmoderne Hexenjagd nicht zu ertragen.

Apropos Gefühle und Menschlichkeit. Denken Sie bloß nicht, dieses ganze Theater um den sogenannten LIBOR-Skandal sei spurlos an uns vorübergegangen. Da wurde eine neue Runde an Bankster-Bashing losgetreten, das hat alles bisherige in den Schatten gestellt. Wissen Sie, so rein menschlich fühlt sich das gar nicht gut an. Wo wir doch die ganze Zeit - seit mindestens 2008, um genau zu sein - nicht die geringste Ahnung hatten, was da an Absprachen, Manipulation und Insider Trading am Laufen war! Haben wir doch nachhaltig beteuert! Glaubt uns aber keiner. Deshalb fühlen wir uns jetzt "ein bisschen schlecht".

Wohlgemerkt, nur ein bisschen. Also, es ist jetzt nicht so, dass wir uns für irgend etwas schämen müssten - Schamgefühle sind nämlich ungöttlich. Selbstzweifel habe wir auch keine - geht ja gar nicht, oder haben Sie schon mal einen Gott gesehen, der an sich selbst zweifelt? Sehen Sie. Aber unser menschliches Antlitz legt uns nahe, dass es derzeit opportun sein könnte, eine kleine Portion Betroffenheit an den Tag zu legen und eine bekümmerte Miene aufzusetzen. Nur so viel, dass es ein klitzekleines Bisschen nach Schuldgefühl aussieht. Mehr braucht es nicht, um den Betrogenen dieser Welt "etwas Trost zu spenden, dass wenigstens ein paar von denen (Bankstern) beginnen, sich schlecht zu fühlen, weil sie den Rest von uns gerippt haben." Und solange so ein Trostpflästerchen funktioniert, müsste es reichen, wenn wir ab und zu betroffen aus der Wäsche gucken.

Weil, was sollen wir denn sonst noch tun? Kriegen die Leute denn nie den Hals voll mit ihrem Gemäkel und Gedisse? Sie glauben gar nicht, wie belastend das ist, wo doch unser Tagesgeschäft schon kräftezehrend genug ist. Ich wünschte, wir könnten diesen notorischen Nörglern einfach den Mund verbieten, bin mir auch sicher, dass wir das irgendwann schaffen werden; denn dazu müssten wir ja nur den richtigen Hebel ansetzen, und von Hebeln verstehen wir mindestens so viel wie von Organisieren und Kontrollieren.

Ehrlich, wir würden nichts unversucht lassen, damit die Leute endlich aufhören, auf uns herumzuhacken. Wenn uns nur mal jemand einen guten Rat geben würde! Obwohl, erst gestern kam einer daher und meinte, das sei alles ganz einfach: Hört auf, die Leute zu betrügen, dann hören die Leute auf, schlecht über euch zu reden, und ihr hört auf, euch schlecht zu fühlen! Kann der Typ nicht im Ernst gemeint haben, oder? Aufhören, die Leute zu betrügen - wir würden uns ja unserer Existenzgrundlage berauben!

Dieser durchgeknallte Typ - auch noch einer aus der Szene, der scheint sich auszukennen - glaubt offenbar an Märchen:
Ich habe einen Plan für euch. Waghalsig, aber brilliant. Er fordert von uns, dass wir all unsere Instinkte und Impulse bekämpfen, dass wir allen Glaubensgrundsätzen und Gewohnheiten, die uns in diese Situation gebracht haben, den Rücken kehren.

Jungs, ich weiß, es klingt verrückt, aber hört mir erst mal zu.
Durchgeknallt, wie gesagt. Göttliche Impulse bekämpfen, so weit kommt's noch. Aber für waghalsige, brilliante Pläne sind wir immer zu haben, also hören wir dem Knallkopf erst mal zu.
Ab sofort betreiben wir unsere Banken und Maklergeschäfte gemäß den Vorschriften und halten uns strikt an die Gesetze, kurz gesagt: Wir hören auf nach Wegen zu suchen, um die Kunden über den Tisch zu ziehen ("stop looking for ways to fuck the customers").
Darf ja wohl nicht wahr sein - wo es doch zu unserem Kerngeschäft gehört, Kunden über den Tisch zu ziehen. Wozu sollen wir da morgens überhaupt noch aufstehen und uns auf unseren Arbeitsplatz schleppen?
Wir gehen zur Arbeit, wir tun genau das, was wir immer behaupten zu tun. Wir bieten nur noch solche Produkte und Services an, die wir auch unseren eigenen Großmüttern und Kindern anbieten würden. Wir machen aus dem Kleingedruckten Fettgedrucktes. Wir eliminieren versteckte Gebühren, zumindest machen wir sie transparent, wo es notwendig ist. Wir gehen mit dem Geld anderer Leute um, als ob es unser eigenes wäre. Wir hören auf, massive Vermögensblasen aufzupusten, um davon zu profitieren, sei es von ihrer Aufgeblähtheit oder ihrem eventuellen Platzen. Wir machen Schluss mit Geldwäsche und Sicherheitskonten. Wir lassen die Finger von Geschäften und Produkten, die für Wirtschaft oder Gesellschaft wertlos sind.
Starker Tobak, das müssen Sie zugeben. Uns, den Tugendwächtern über tugendhafte Kreisläufe von Gottes Gnaden, will dieser Märchenonkel etwas über rechtschaffenes Banking erzählen! Was stellt der sich vor, von was wir leben sollen?
Wir bezahlen unsere Angestellten auf der Grundlage langfristig gesunder Strukturen in unserem Gewerbe...
- "gesund", na ja, da ließe sich drüber reden, solange die Deutungshoheit über "gesund" bei den Gottheiten liegt und nicht bei den Märchenonkels -
...und nicht auf der Grundlage dessen, wer das größte Stück Scheiße an den dümmsten Kunden zum wahnsinnigsten Preis verkauft hat.
Hey, das war jetzt extrem unsensibel. Müssen wir uns so viel Bankster-Bashing gefallen lassen? Noch dazu aus den eigenen Reihen? Ich meine, es ist ja nicht so, dass dieser Typ unrecht hätte. Aber solche Wahrheiten laut auszusprechen - das tut weh, wissen Sie, das schmerzt echt. Drum suchen wir jetzt dringend ein Plätzchen, wo wir unsere gebeutelte Seele ein bisschen baumeln lassen können. Ja, nennen Sie es ruhig den Galgenhumor der Untoten. Es ist nämlich so: Wenn unsere Seelen erst gestorben sind, dann leben wir auf ewig weiter.

Kürzungen auf Spanisch


"Auch das Volk kürzt"
Spanien, 19. Juli 2012

Irgendwie scheint die Schneidemaschine grenzüberschreitend
sich immer größerer Beliebtheit zu erfreuen.
Am Ende wächst Europa doch noch zusammen.
Nur halt anders als gedacht.
Wer auch immer
sich
was auch immer
dabei
gedacht hat.

Donnerstag, 19. Juli 2012

Sommermärchen, das erste


Treffen sich zwei Ökonomen. Unterhalten sich über die Finanzkrise. Sieht alles nicht so gut aus, befinden beide. Nur mit dem Unterschied, dass der eine der beiden Ökonomen ein Optimist ist und der andere ein Pessimist.

Fängt der Optimist an, die leidige Leier runterzubeten, wie beschissen es laufe in ganz Europa: überall nur Schuldenberge und Pleitegeier; insolvente Banken, so weit das Auge reiche; organisierte Kriminalität, die sich 'Finanzsystem' nenne; Politmarionetten, denen die Korrumpierbarkeit aus jedem Knopfloch quelle; unkontrollierbarer Kontrollverlust, dem, wie das Amen in der Kirche, der wirtschaftliche und soziale Kollaps folgen werde.

Und was das Schlimmste sei: Es laufe alles derart beschissen aus dem Ruder, dass die Menschen (natürlich nur die normalen) sich demnächst von Pferdemist ernähren müssten.

Mann, sagt darauf der Pessimist, jetzt sei er aber schwer geschockt. Weil, so düster habe er seinen Kollegen ja noch nie reden hören. Dessen Einschätzungen sei von seiner Seite aus wenig hinzuzufügen, meinte der Pessimist, denn er sei mit dem Optimisten in allen Punkten einig.

Fast allen. Mit einer Ausnahme:
In Kürze werde eine Verknappung an Pferdemist eintreten.


(sehr frei nacherzählt bzw. übersetzt nach:
'The Reign in Spain May Soon Be Over')

Keine Sonne, nur Stich


Bei Gott.

Die armen Deutschen. Jetzt nicht arm im notleidenden Sinne, ach was, vielmehr arm an Wärme, Hitze und den daraus resultierenden Defiziten an roten Hautverfärbungen. Die armen Deutschen leiden nämlich unter dem unzumutbar verregneten Sommer und hungern deshalb nach Sonne. Da muss etwas getan werden.

Beim Zeus.

Dagegen die armen Griechen. Zwar arm im notleidenden Sinne, okay, aber reich an Wärme und Hitze und rundum von der Sonne verwöhnt. Hungern allenfalls nach etwas Essbarem, um über die Runden zu kommen. Da muss etwas getan werden.

Die Lösung:
Staatliche Prämien für Urlaub im sonnigen Griechenland, um dem deutschen Regen zu entfliehen.
Begründung:
Das schlechte Sommerwetter in Deutschland macht die Menschen zunehmend depressiv.
Wie man hört, machen Hunger und Not die Griechen auch zunehmend depressiv.

Und nein, Deutschland ist nicht Griechenland.

Ich bin dann mal weg.
Urlaub machen im Sommerloch der Bildzeitung.

Mittwoch, 18. Juli 2012

Null Panik auf der Titanic



Lob der Armut


Wir nähern uns dem Punkt, wo endlich die Wahrhaftigkeit siegt.
Wo wahre Worte so gelassen ausgesprochen werden, dass man sich wundert, wie je der wahnhafte Eindruck entstehen konnte, es sei Propaganda, also ein bewusstes Verdrehen der Wahrheit, am Werk. Wo keiner mehr versucht, ein windiges X für ein bröseliges U vorzumachen, um mit dem feinzerstoßenen Substrat aus den Mühlen der Europäischen Wahrheitsverdrehungsfabrik hoffnungsvoll-verlogenen Sand in die Augen der gläubigen europäischen Untertanen zu streuen. Ist alles viel zu umständlich, viel zu aufwendig.

Noch reiben wir uns ungläubig die ehedem sandverkrusteten Äugelein. Schauen noch mal hin, lesen ein drittes Mal. Können es nicht fassen, dass endlich die Wahrheit, die ungeschminkte, gesprochen wird. Einfach so, ohne Umschweife, mitten ins Gesicht.

Vorbei die Zeiten, wo die sprunghaft ansteigende Verarmung und Verelendung als unvermeidlicher Kollateralschaden galt, wo es doch um viel Größeres ging - um Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Konsolidierung von was auch immer. Kollateralschaden? Aber nicht doch. Verarmungsprogramme ("Austerität") zielen exakt auf das ab, was sie sich zum Programm erhoben haben: auf Verarmung. Wird man ja wohl mal so sagen dürfen:
Austeritätspolitik trägt Früchte in Portugal

Die von Portugal - in Übereinstimmung mit der Europäischen Union und dem Internationalen Währungsfonds - implementierte Austeritätspolitik beginnt Erfolge abzuwerfen, sagte EU-Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia am Freitag.

Portugal habe das mit beiden Institutionen abgestimmte Programm korrekt umgesetzt, sagte Almunia während eines Besuches in Lissabon.

Das Programm beginne nun, "sehr gute Erfolge" zu zeigen.

Die Haushaltskürzungen der Regierung erfolgten auf Kosten wachsender Armut, Streiks und Protesten.

Almunia erwartet ein Ende der Rezession in Portugal schon im kommenden Jahr.
Austerity rocks. Sollte es dir schwerfallen, der Wahrheit ins Gesicht zu blicken: Friss oder stirb.

Dienstag, 17. Juli 2012

Endlich Urlaub


Hat sich noch jemand gewundert, warum Griechenland in letzter Zeit aus den Schlagzeilen verschwunden ist? Da gibt es nichts zu wundern, denn: Seit der "Stabilisierung der politischen Lage in Griechenland" bedarf es auch keiner Schlagzeilen mehr. Außer dieser.

Wie, Sie wundern sich über die "Stabilisierung der politischen Lage in Griechenland"? Dann sind sie kein typischer Deutscher. Jedenfalls kein typischer deutscher Urlauber. Der präferiert nämlich für seine schönsten Wochen des Jahres Urlaubsziele mit stabilisierter politischer Lage. Drum hat sich dem deutschen Urlauber zuliebe die politische Lage in Griechenland stabilisiert, weshalb der erholungsbedürftige Deutsche auch nicht mehr durch beunruhigende Schlagzeilen beunruhigt wird.
Seit der Stabilisierung der politischen Lage in Griechenland wird eine deutliche Zunahme der Buchungen deutscher Touristen verzeichnet.
Nachdem Griechenland nach den Wahlen am 17. Juni 2012 nicht mehr auf den Titelseiten der Zeitungen erschienen sei, hätten die Buchungen für die griechischen Sommerressorts signifikant zugenommen:
"Die Tendenz der Buchungen steht im Einklang mit den Publikationen. Sind die Schlagzeilen negativ, sinken die Buchungen, gibt es keine Schlagzeilen, steigen sie wieder."
Koffer packen, Leute, durchatmen, und nix wie runter zu den faulen Griechen. Denen mal zeigen, wie bezahltes Faulenzen geht. Und kommt bloß nicht auf die Idee, euch über irgend etwas zu wundern. Schließlich wollt ihr euch erholen, oder? Bisschen mediterrane Lebensart genießen, bisschen deutsche Seele baumeln lassen, ausgeruht zurückkommen, doch, das Essen war sehr gut und das Hotel auch ganz nett und die Griechen sind ja sooo gastfreundlich und die politische Lage hat sich eh stabilisiert, nur, es gab halt weit und breit keine Bildzeitung. Schatz, pass du auf die Koffer auf, ich geh' mal schnell rüber zum Kiosk, hast du die Schlagzeile gesehen? Hier, "Faule Griechen..." und so, tja, da wundert man sich über nichts. Aber trotzdem, nächstes Jahr fahren wir da wieder hin, weil es dort so schön ist und man sich so gut erholen kann.

Natürlich nur, falls die politische Lage sich bis dahin weiterhin stabilisiert.

Mit dem Leben bezahlen


Es ist ein Kreuz mit diesen armen Leuten, diesen arbeitslosen, weil arbeitsfaulen Habenichtsen, die es noch nicht mal wert sind, vom Staat durchgefüttert zu werden. Die zu nichts zu gebrauchen sind, diese Plagen der Gesellschaft, die noch nicht mal bereit sind, sich selbst zu entsorgen, um die geplagte Gesellschaft zu entlasten, sondern die, im Gegenteil, auch noch lautstark dagegen protestieren, wenn für ihre Entsorgung plädiert wird. Die geplagten Parlamentarieren gleichermaßen ein Dorn im Auge sind wie geplagten, sich für das Weltwohl aufopfernden Banklobbyisten.

Hatten letztere noch die bahnbrechende Idee zur Befriedung sämtlicher Krisenherde - "Die Armen sollen gefälligst Steuern zahlen!" -, stellen sich immer mehr dieser wertlosen armen Schlucker so stur wie quer und sagen: Nö. Machen wir nicht.

Same old story
same old song
it goes all right
'til it goes all wrong.

Summe ich schon den ganzen Morgen vor mich hin, seit ich den Brief gelesen habe, den einer dieser nichtsnutzigen Habenichtse an die griechische Steuerbehörde geschrieben hat. Dass der Habenichts aus Kreta tatsächlich nichts hat, wies er der Behörde nach, nachdem die Behörde eine stattliche Steuerzahlung von ihm eingefordert hatte. Punkt für Punkt, Posten für Posten wies er es nach. Wie es sich für einen ordentlichen Steuerzahler gehört, wenn ihm das Geld zum Leben und darum auch zum Steuernzahlen ausgeht.

Der sture Mann aus Kreta endete seinen Brief ans Finanzamt mit den Worten:
Nach allem, was ich Ihnen weiter oben dargelegt habe und unter Berufung auf den letzten Artikel der griechischen Verfassung...
Einschub zur Erklärung:
"Artikel 120 (Recht auf Widerstand)
Die Einhaltung der Verfassung ist verpflichtend für den Patriotismus der Griechen, die das Recht und die Pflicht haben, mit allen Mitteln Widerstand zu leisten gegenüber jedem, der versucht, diese Verfassung gewaltsam zu unterminieren."
...unter Berufung auf den letzten Artikel der griechischen Verfassung erkläre ich das Folgende:

a) Vor die Wahl gestellt, entweder die nächsten drei Monate nichts zu essen oder die Steuern zu zahlen, die Sie von mir einfordern, entscheide ich mich, keinen einzigen Penny zu bezahlen.
b) Vor die Wahl gestellt, entweder mich umzubringen oder zum Mörder zu werden, entscheide ich mich, Sie umzubringen.
c) Sollte Ihnen bei dieser mir übersandten Einkommenssteuerschätzung kein Irrtum unterlaufen sein, dann sind Sie nichts als ein Haufen Betrüger, Schurken und Diebe.
Gemessen an dem, was sich die Habenichtse dieser Welt so alles anhören müssen, finde ich diesen Brief ausgesprochen höflich.

It goes all right
'til it goes all wrong.


Montag, 16. Juli 2012

che!



In Spanien protestieren jetzt immer mehr Menschen gegen die von oben verordnete Verarmung. Inzwischen haben sich den Protesten sogar Angestellte des öffentlichen Dienstes - darunter Polizisten - und Beamte angeschlossen. Mal sehen, wann der erste Minister sein wahres Herz zeigt. Vermutlich dann, wenn dieser, aus dem prallen Parlamentsleben frisch komponierte, Song zum Sommerhit 2012 wird:


Sonntag, 15. Juli 2012

Psalmdudler


Weil Sonntag ist:

Kanispel kanospel, wir singen einen Gospel.

Und der geht so:

Der Herr ist mein Hirte.
Mir wird nichts mangeln.
Lass mich dein Schaf sein.
Denn wo ein Hirte ist,
da ist ein Weg
und ein Schaf.
Oder viele Schafe.

Warum wird mir nur so fromm zumute, wenn ich so etwas lese:
Deutschland sagt, es werde Spanien helfen, Lehrsysteme nach deutscher Art in die Wege zu leiten für seine jungen Menschen, von denen die Hälfte arbeitslos sind wegen der Schuldenkrise.
Er erquicket meine Schäfchen
und führet mich auf rechter Straße
um seines Namens willen.
Der spanische Bildungsminister José Ignacio Wert
(hoppla, Wert?, um seines Namens willen?)
unterzeichnete am Donnerstag ein Abkommen mit seinem deutschen Amtskollegen in Stuttgart, um mehr Spaniern ein on-the-job-training (Ausbildung am Arbeitsplatz) in deutschen Firmen zu ermöglichen.
Er weidet mich auf einer grünen Aue
und führet mich zum frischen Wasser.
Weil, bei uns herrscht ziemliche Dürre.
Die spanische Jugendarbeitslosigkeit ist auf 52 Prozent nach oben geschnellt - die höchste Rate in Europa.
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,
fürchte ich kein Unglück.
Denn du bist bei mir,
und wirst uns Mores lehren,
drum schicken wir unsere Schafe
zu dir in die Lehre.
Herr Wert sagte, Spanien müsse die deutsche Erfolgsmethode ("best practice") lernen, um seine Kompetenzen zu verbessern.
Dein Stecken und Stab trösten mich.
Du bereitest vor mir einen Tisch
im Angesicht meiner Feinde.
Denn du bist mein Freund
und der Freund aller Schafe.
Du salbest mein Haupt mit Öl
und schenkest mir voll ein.

Ja doch, freilich, du schenkest mir voll ein. Was eigentlich? Jetzt bloß nichts durcheinanderbringen: nein - keinen reinen Wein einschenken, denn diese Redewendung stammt aus einem weltlichen Gospel und bezieht sich auf die Ethik ehrlicher Wirte, die es ablehnen, ihren alten Wein mit Schwefel zu strecken und dann in neue Schläuche zu pumpen.

Folgen sollst du nicht den Wirten,
sondern dem Hirten,
auf dass er dir
ordentlich einschenke.

So weit klar?

Weiter:

Die Schafe versammeln sich
im finstern Tal,
am Fuß des Berges,
den zu erklimmen
noch keiner gewagt
(außer natürlich dem Hirten).
Drum führe uns,
oh guter Hirte!
"Wir möchten, dass Deutschland unser Bergführer ("sherpa") in diesem Ausbildungsabenteuer ist," sagte (Wert) Deutschlands Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Ja doch, freilich, Deutschland ein Sherpa. Ein kundiger Bergführer. Ein guter Hirte. Einer, der weiß, wo's lang geht. Der dich führt über Berg und Tal, Stock und Stein, von einem Abenteuer ins nächste, durch dick und dünn, bis zum dicken Ende.

Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen
mein Leben lang
und ich werde bleiben
im Hause des Herrn immerdar.

Amen, schönen Sonntag und gute Reise.


Samstag, 14. Juli 2012

Böses Blut


Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, und man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Andererseits sind Schwalben nun mal Wetterboten, und wenn der Tag mit goldener Morgendämmerung beginnt, wieviel Sinn hat es dann, den Abend abzuwarten? Wenn bereits tagsüber die Einschläge dichter werden?

Vorgestern hatte eine Multimillionärin, Abgeordnete im spanischen Parlament - rechtskonservativ wäre schmeichelhaft - ihrem Überdruss an den arbeitslosen Menschen im Land Luft verschafft, indem sie zu ihrer Entsorgung aufrief. Sie bediente sich einer Wortwahl, die das geflügelte Wort von Let them eat cake des ausgehenden 18. Jahrhunderts an Verächtlichkeit in den Schatten stellte. Immerhin, dachte ich, hatten sie damals in Frankreich noch eine manierlichere Ausdrucksweise als heute in Spanien.

Sollen sie doch ausgemustert werden, die Armen, die Verlierer, die Erfolglosen, die Geächteten und all diejenigen, die sowieso nicht dazugehören. Man könnte ja schon mal anfangen, ihnen die die medizinische Behandlung zu verweigern, alles weitere erledigt sich dann von selbst, ist ja nur eine Frage der Zeit. Sollen sie doch ausbluten.

Kein griechisches Blut an die "afghanischen Messerschwinger und albanischen Tagediebe", befindet die griechische Neo-Nazi-Partei Golden Dawn in ihrer neuesten Kampagne zur restlosen Säuberung des Landes von Immigranten.


Kein Blut an - Originalton! - "Untermenschen". Mit Untermenschen sind solche "ohne Gewissen, ohne Land, ohne nationaler Kultur" gemeint. Es müssten dringend, so dämmerte donnernd das frischgebackene Parlamentsmitglied, "unverzügliche Maßnahmen eingeleitet werden, um der asymmetrischen Bedrohung durch Millionen unkontrolliert das Land überflutender illegaler Immigranten Einhalt zu gebieten".

Unverzügliche Maßnahmen wurden bereits eingeleitet: In Athener Stadtteilen hängen Plakate, auf denen Griechen aufgerufen werden, ihr Blut ausschließlich ihren griechischen Landsleuten zu spenden. Damit der reinrassige Blutaustausch auch reibungslos funktioniert, soll eine "rein-griechische Blutbank" ins Leben gerufen werden.
Die Partei - die abstreitet, eine Neo-Nazi-Partei zu sein - teilte mit, es sei ihr gelungen, eine solche Blutbank zu etablieren; sie werde betrieben in einem staatlichen Krankenhaus in Athen.
Ganz recht - was sollte daran "Nazi" sein, Rassenreinheit auf dem Weg von Blutspenden anzustreben? Eine griechische Ärztegewerkschaft nannte den Plan "krank, unwissenschaftlich, illegal und rassistisch". Irgendwo habe ich gelesen, Golden Dawn verlange den Nachweis von mindestens sieben "reinrassig" griechischen Generationen im Stammbaum, um in die Partei aufgenommen zu werden. Was sollte daran "Nazi" sein? Ein gewisser Hitler hatte sich mit dem Nachweis arischer Großeltern bereits zufriedengegeben.

Geschichte wiederholt sich nicht. Sie reimt sich nur.
(Mark Twain)

Freitag, 13. Juli 2012

Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt


Am Mittwoch erklärte der spanische Ministerpräsident Rajoy im Parlament, das Arbeitslosengeld kürzen zu wollen (von derzeit 60 auf 50 Prozent des Bruttogehaltes nach den ersten sechs Bezugsmonaten) und erntete nicht nur spontanen Beifall seiner Parteikollegen, sondern seitens seiner Parteikollegin und Abgeordneten Andrea Fabra auch den sensiblen Ausruf, gemünzt auf arbeitslose Menschen (25 Prozent in Spanien, Tendenz schnell steigend):
"Que se jodan!"
- eine Redewendung, die mit "Sollen sie doch zur Hölle fahren!" nur sehr subtil übersetzt wäre.

Eine kämpferische junge Frau legt nach mit einem geharnischten Rundumschlag, wer oder was ihrer Meinung nach alles zur Hölle fahren sollte. Klare Worte, die auch ohne Spanischkenntnisse unmissverständlich rüberkommen. Bravo.


Kürzungen auf Französisch


Heute ist Freitag der 13., was überhaupt nichts zu sagen hat, außer dass morgen Samstag der 14. ist. Der 14. Juli. Der Tag der Bastille, oder vielmehr des Sturmes auf dieselbe, Nationalfeiertag in Frankreich. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren.

Da möchte sich der frischgebackene Präsident Hollande nicht lumpen lassen und macht schon mal einen auf Bella Figura, nach dem Motto: Was zählt, ist die Show. Die stiehlt er heuer seinem Amtsvorgänger - der für seinen Bling-Bling-Lifestyle gleichermaßen bekannt wie unbeliebt war -, indem er die Trumpfkarte 'Bescheidenheit' zieht.

Rechtzeitig zum Tag der Guiollotine verkündete der Herrscher, dass er für seine Reisen von Paris nach Brüssel fürderhin nur noch den Zug anstelle des Flugzeugs benutzen werde, was in etwa so verdienstvoll ist, wie für die Strecke von Untergipfling nach Obergipfling aufs Flugzeug zu verzichten - aber was soll's, die noble Geste ist, was zählt. Auch hat er seine Minister angewiesen, künftig doch bitte mehr Bodenhaftung an den Tag zu legen und auf die sparsame Schiene umzusteigen; sicherlich eine herbe Einbuße an Komfort, nur unzureichend ausgeglichen durch den Umstand, dass die Monsieursdames für das staatliche Eisenbahnnetz sowieso über einen Freifahrschein verfügen.

Wie eng der Präsident des Volkes bereit ist seinen Gürtel enger zu schnallen, ist auch daran ersichtlich, dass er die Anzahl seiner persönlichen Chauffeure von drei auf zwei gekürzt und selbige gebrieft hat, ab sofort an jeder roten Ampel zu halten. Letzteres spart zwar kein Benzin, gibt aber bestimmt Extrapunkte beim gemeinen Volk, das schließlich auch nicht bei Rot über jede x-beliebige Kreuzung brettern darf.

Selbst die Ministerin für Wohnungswesen hat geschnallt, wo das neue Gürtelloch sitzt; es wurden vier neue Fahrräder für den innerstädtischen Transport der Ministerialbeamten geordert: auf die Hollanderäder, bevor wir drunter kommen.

Dem Fass den Boden ausgeschlagen hat jedoch die Meldung, in Zukunft werde bei Staatsempfängen ("großteils", wie es großzügig heißt, da hätte uns natürlich das kleinteilige Trinkverhalten genauso interessiert, aber egal) statt Champagner nur noch der billigere Muscadet-Weißwein getrunken. Das hat Größe! Ist aber bitter, weil, Weißwein statt Champagner, wie soll einer sich da auf seinen gehobenen Politikerstatus noch etwas einbilden können? Lass das Volk Leitungswasser trinken, wäre ein möglicher Ausweg.

Damit das Volk auch weiß, was es morgen zu feiern hat, hat gestern der Autohersteller Peugeout sich am Präsidenten ein Beispiel genommen und mit den Worten "Wir müssen Kosten reduzieren" beschlossen, den Gürtel, na, Sie wissen schon: 8.000 Jobs gestrichen. (Offizieller) Stand der Arbeitslosigkeit derzeit: 10,2 Prozent. Um diese Zahl nachhaltig und im Interesse der dringend geforderten Wettbewerbsfähigkeit aufzustocken, haben auch die Air France (AF) und der Pharmakonzern Sanofi (SNY) Personalkürzungen im großen Maßstab angekündigt.

Und um das Volk morgen so richtig in Feierlaune zu versetzen, wurde flugs ein neues, unglaublich motivierendes Modewort aus der Taufe gehoben: der Wettbewerbsschock™.
"Wir müssen einen Wettbewerbsschock schaffen, und zwar einen ganz massiven."
- findet Louis Gallois, ehemaliger Generaldirektor von European Aeronautic, Defence & Space (EAD), der von Präsident Hollande übrigens zum Chefberater in Sachen Wettbewerbsfähigkeit ernannt wurde. So fügt sich eins zum andern. Bestimmt haben die beiden Männer auf die populäre Wortschöpfung mit einem Gläschen preiswerten Muscadet angestoßen.

Interessant übrigens auch das französische Wort coupure für Kürzungen aller Art, und seien sie noch so halsabschneiderisch. Ganz im Banne von coupures allerorten möchte auch das Volk - den morgigen Festtag fest im Blick - nicht hintanstehen. Ab sofort kann sich selbst der engst geschnallte Haushalt eine dieser neuartigen, extrem preiswerten Schneidemaschinen (robustes Pinienholz/rostfreier Stahl) leisten. Getreu dem Slogan 'auspacken, aufbauen, Rübe ab' lassen sich künftig bei einem Gläschen Leitungswasser locker bis zu hundert Kürzungen pro Tag abwickeln. Aufgestachelt vom Aufruf zum Wettbewerbsschock™ wird es im Land der rollenden Köpfe einen Kürzungsrekord geben; dann nämlich, wenn das Volk kurzen Prozess machen wird mit der Frage:

Kürzt ihr noch oder seid ihr schon einen Kopf kürzer?


In den Schlaf gelacht


Ist ja jetzt schon ziemlich spät, und ich bin auch nicht mehr so topfit. Mir ist auch klar, dass man Äpfel nicht mit Birnen vergleichen kann. Schon gar nicht die SPD der 70er Jahre mit der CDU im Jahre 2012. Und erst recht nicht vergleichen kann man diesen Typen mit der göttlichen Stalinorgel im Schlund namens Herbert Wehner (SPD) mit der hausbackenen Alles-tanzt-nach-meiner-Pfeife-Rhetorik von Angela Merkel (CDU). Welten liegen dazwischen.

Wurscht. Alles Wurscht. Es ist spät, und obwohl ich bereits mit offenen Augen am Schlafen bin, steht mein Mund sperrangelweit offen vor Lachen. Weil ich mir nämlich gerade den englischen Guardian als Betthupferl zugeführt habe. Thema des Artikels: Die glühenden Kohlen ("tenterhooks"), auf denen die deutsche Regierung sitzt, seit das BVG in Karlsruhe ein Tauziehen auf Zeit betreibt.

Raunzt ranzig die Merkel:
Merkel brachte ihre Ungeduld mit dem Gerichtshof zum Ausdruck, als sie, bei einem privaten Treffen mit ihren Christdemokraten, dem Vernehmen nach äußerte, es (das BVG) "treibe ihre Geduld bis zum Äußersten".
Hach! Was für ein kleinkariert-piefiges Rumgenöle einer Möchtegern-Domina, die es sich verbittet, ihre Geduld - von wem auch immer - auf eine harte Probe gestellt zu sehen. Gna-gna-gna. Sollte sich mal ein Beispiel nehmen an dem ollen Wehner, der so schörkellos wie komplexfrei folgendes zum Besten gab:
In den 70er Jahren, als das BVG die Ostblockpolitik des Kanzlers Willy Brandt unter die Lupe nahm, wurde Herbert Wehner - ein führendes Mitglied von Brandts Sozialdemokraten - berühmt durch seinen Ausspruch: "Wir werden nicht zulassen, dass diese Arschlöcher in Karlsruhe unsere Politik ruinieren."
Huch! Ja, durfte der so etwas einfach sagen, damals? Scheint's war ihm das wurscht. Er sagte es einfach. Was ja eigentlich ein Unding ist. Oder vielleicht auch nicht, uneigentlich gesehen. Jedenfalls ist mir der uneigentliche Wehner sympathischer als die eigentliche Merkel. Oder wie auch immer, eh wurscht, ist ja schon ziemlich spät jetzt. Nochmal kurz gewiehert. Dann ab in die Kiste.

Gute Nacht.

Donnerstag, 12. Juli 2012

Vorsicht am Bahnsteig, dieser Zug fährt in Kürze ein



Nettes Pärchen, sagen Sie? Bisschen crazy, aber sonst völlig harmlos? Haben Sie eine Ahnung. Sieht man doch auf den ersten Blick, wie gefährlich die sind. Die typische Bonnie-and-Clyde-Masche, kennen wir doch. Alles schon mal dagewesen. Sie machen sich ja keinen Begriff, wie so etwas ausarten kann. Oder entarten. Ja, entarten! Schon mal davon gehört? Nein? Na, dann wollen wir Sie mal aufklären.

Besaß dieses suspekte Pärchen im sittenzersetzenden Habit doch die Dreistigkeit, unlängst in einer New Yorker U-Bahn-Station - jetzt halten Sie die Luft an! - zu tanzen. Zu tanzen! In aller Öffentlichkeit, mitten auf einem Bahnsteig, dort, wo unbescholtene, friedliebende Bürger ungestört auf die nächste U-Bahn warten und sich dabei - ich bitte Sie! - in Sicherheit und Ordnung wähnen wollen, denn wo kommen wir sonst hin, wenn auf einmal immer mehr Leute mitten auf dem U-Bahnsteig zu tanzen anfangen? Eben. Anarchie. Verfall der Sitten. Verkehrsbehinderung. Am Ende womöglich noch allseitige gute Laune und überbordender Frohsinn! Darum: Wehret den Anfängen.

Tanzten die also mitten auf dem Bahnsteig. Und das am späten Abend, kurz vor Mitternacht! Wie, Sie finden da gar nichts dabei? Warten Sie, bis Sie erfahren, was die beiden da getanzt haben. Kam nämlich die Polizei um die Ecke, fragte: "What are you doing?", antwortete das lästerliche Gespann, durchaus wahrheitsgemäß: "The Charleston!" Allmächtiger! Doing the Charleston! Zu welchen Ausschweifungen das Charleston-Tanzen unweigerlich führt - Sie haben ja keine Ahnung. Hier, bitte:


Glücklicherweise ist es beizeiten gelungen, das liederliche Treiben zu verbieten und dem Pärchen das Handwerk zu legen - zu verdanken dem beherzten Zugriff der Polizei, von der die beiden Sittenstrolche verhaftet und in Handschellen abgeführt wurden, sodass unverzüglich die freudlose Ruhe und latent depressive Ordnung, die wir in unseren U-Bahnhöfen so schätzen, wiederhergestellt werden konnte.

Halten Sie jetzt bitte Ihre Zunge in Zaum und hüten sich vor fahrlässigem Geschwätz à la "Polizeistaat", denn gewissenhaft, wie unsere Polizei arbeitet, hat sie ihren ordnungshütenden Zugriff korrekt begründet mit: 1. Tanzen in der U-Bahn verboten, 2. Widerstand gegen die Staatsgewalt, 3. ordnungswidriges, zu einer Behinderung des Verkehrsflusses führendes Verhalten. Na? Sehen Sie. Unsere Ordnungshüter berufen sich auf das Gesetz, das andere brechen. Die tun nur ihre Pflicht. Und Sie, Sie müssen sich lediglich daran halten, an das Gesetz, und an die Verbote, dann wird Ihnen niemand ein Härchen krümmen. Haben wir uns verstanden?


Mittwoch, 11. Juli 2012

Von Panzern und Waffen


Gerade eben hat es mich dreimal umgehauen.

Die ersten beiden Male haute es mich um, als ich auf dieses kurze Video gestoßen bin: Spanische Minenarbeiter demonstrierten gestern abend in Madrid, nachdem über 8.000 von ihnen seit Ende Mai streiken. Viele von ihnen sind zu Fuß fast drei Wochen lang von ihren Bergwerken nach Madrid über 450 Kilometer gewandert ("Schwarzer Marsch"), um sich dort zu treffen und gemeinsam zu protestieren. Was in dem Film an rebellischer Kraft und Entschlossenheit zu erleben ist, hat mich umgehauen; ebenso die Solidarität tausender Sympathisanten am Straßenrand, von denen die Mineros begrüßt und bejubelt wurden:


Ein drittes Mal haute es mich um, diesmal vor Entsetzen, bei diesem Bild, aufgenommen ebenfalls gestern in Madrid, als von Spaniens Ministerpräsident Rajoy die neuesten Kürzungsprogramme bekanntgegeben wurden. Dagegen wurde protestiert, und dagegen schlug die spanische Polizei erbarmungslos zu:


Eigentlich hätte es mich danach ein weiteres, viertes Mal umhauen müssen beim Lesen dieses Satzes:
Die Europäische Kommission begrüßte diese Maßnahmen und sagte, sie seien ein "wichtiger Schritt" Spaniens zur Bekämpfung seines Defizits.
Eigentlich. Aber man ist ja inzwischen mit Zynismus bis an die Zähne bewaffnet und gepanzert und ergänzt die zitierte Meldung mit Gedanken wie:
Infolgedessen begrüßte die Europäische Kommission die harten polizeilichen Maßnahmen und sagte, sie seien ein wichtiger Schritt Spaniens zur Bekämpfung seiner notleidenden Bevölkerung und zur Rettung seiner Banken.
Nur, manchmal denke ich, was für eine stumpfe Waffe der Zynismus doch ist. Solange mich Solidarität, Entschlossenheit und rebellische Kraft noch umzuhauen vermögen, ist Zynismus womöglich nicht das Mittel der Wahl, um Abscheu und Widerstand einen angemessenen Ausdruck zu verleihen. Es muss noch andere Waffen geben. Ich bin auf der Suche.

German Angst


Drei Monate!

Ja du liebe Güte, drei Monate lang wollen die nachdenken und prüfen und beraten und - wegen so einer Lappalie wie, pfft, Verfassungsmäßigkeit, pfft, drauf gepfiffen! - kostbare Zeit verplempern! Diese tollkühnen, realitätsfremden juristischen Korinthenkacker in ihren roten Roben - drei volle Monate! Ja, haben die denn ihre Zeit gestohlen oder was? Wo uns die Zeit davon und die Rettung Europas aus dem Ruder läuft, wir fieberhaft daran arbeiten, das Ruder dieser zeitraubenden Demokratie endlich rumzureißen, komme was wolle, koste es was es wolle? Und da nehmen die sich einfach - Zeit? Ja, in welcher Zeit leben die denn?

Höchste Zeit, die gut geschmierte Angst- und Panikmaschine anzuwerfen. Kaum haben die Karlsruher Richter angekündigt, in aller Ruhe und Gründlichkeit über etwas zu beraten, was andere lieber ruckzuck übers Knie gebrochen hätten, geht das Geschrei los, ist der Brainwash vom hereinbrechenden Ende der Welt in vollem Gang.

Allen voran Chefhysteriker Schäuble, dessen liebstes Steckenpferd es ist, seine ohnehin zur Hysterie neigenden Landsleute in Angst und Schrecken zu versetzen. Wenn ich ihm richtig folgen kann (was mir extrem schwer fällt), kommt infolge der Weigerung des Bundesverfassungsgerichtes, sich dem kopflosen Druck von Märkten und Politikern zu beugen und im Eilverfahren eine überstürzt hingeschmierte Vertragsschwarte abzusegnen, stattdessen im von Hektik getriebenen Getriebe einfach mal einen Gang runterzuschalten und sich drei Monate Zeit zu nehmen, ein Horrorszenario ungeahnten Ausmaßes auf uns zu, ein Höllentrip, der alle bisher bereits verschäubelten Höllentrips in den Schatten stellt:
Erhebliche ökonomische Verwerfungen mit nicht absehbaren Folgen für Deutschland sind zu befürchten, gefolgt oder ausgelöst von nicht minder erheblicher Verunsicherung der Märkte, gepaart mit weltweiten Zweifeln an der Bereitschaft der Bundesrepublik Deutschland, Gefahren für die Stabilität der Euro-Zone abzuwenden, was unweigerlich dazu führt, dass die derzeitigen Krisensymptome deutlich verstärkt werden. (zusammengefasst von mir)
Wem jetzt noch nicht die Hosenbeine schlottern vor Angst, der hat entweder den finalen Schäuble-Schuss nicht gehört, oder er hat einfach zu starke Nerven - ein sich deutlich verstärkendes Krisenbegleitsymptom, das von den erheblich verunsicherten Panikproduzenten Schäuble & Co gar nicht gern gesehen wird - und sollte sich schleunigst dieses vorzügliche Musikvideo zuführen. Auf dass ihm angst und bange werde vor allem und jedem, wovor er bislang noch keine Angst hatte. Denn wir lernen, dass es nichts, aber auch gar nichts gibt auf dieser Welt, wovor es sich nicht lohnte Angst zu haben.

Peur de Tout - Ich habe Angst vor allem: